Nachruf Prof. Dr. Rudolf Heitefuß (1928-2020)

Am 3. Oktober 2020 verstarb Rudolf Heitefuß, langjähriger Direktor des Instituts für Pflanzenpathologie und Pflanzenschutz der Universität Göttingen. Rudolf Heitefuß übernahm die Leitung des Instituts mit seiner Ernennung zum ordentlichen Professor für Pflanzenpathologie und Pflanzenschutz im Jahr 1972 und wirkte an dieser Stätte bis zu seiner Emeritierung im Frühjahr 1994. Mit seinen frühen wissenschaftlichen Arbeiten war er maßgeblich an der Begründung der physiologischen Phytopathologie beteiligt, die zu einem ganz neuen Verständnis von Wirt-Pathogenbeziehungen führte und heute weltweit mit großer Intensität auf molekularer Ebene weitergeführt wird. Schon bald richtete sich sein Interesse aber auch auf angewandte Fragestellungen des Pflanzenschutzes. Hier stand vor allem die Weiterentwicklung des Integrierten Pflanzenschutzes im Vordergrund, wobei er besonders die Verbesserung der gezielten, an Schadschwellen orientierten Unkrautbekämpfung in den Blick nahm. Mit diesen Arbeiten hat Rudolf Heitefuß der Praxis des Pflanzenschutzes äußerst wertvolle und bis heute nachwirkende Impulse gegeben. Vor allem aber verkörperte er mit der Verbindung von Grundlagen – und angewandter Forschung einen wissenschaftlichen Ansatz in der Phytomedizin, der durch disziplinäre Fragmentierung zunehmend verloren geht.

Viele der in seinen zahlreichen Projekten, Publikationen und Vorträgen behandelten Fragestellungen wie Umweltverträglichkeit von Pflanzenschutzmitteln, Reduktionsmöglichkeiten im chemischen Pflanzenschutz oder Erhaltung der Produktivität bei gleichzeitiger Schonung des Naturhaushalts sind heute von größter Aktualität. Hier hat Rudolf Heitefuß einen Fundus von Wissen hinterlassen, der es lohnend macht, noch heute daraus zu schöpfen. Seine in geduldiger, streng systematischer Weise gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse hat Rudolf Heitefuß in die Tätigkeit in zahlreichen wissenschaftlichen und fachlichen Gremien, vor allem bei der DFG und der DLG, als vielgefragter Gutachter, sowie durch vielfältige Beiträge bei nationalen und internationalen Konferenzen einfließen lassen. Seine Beiträge waren immer höchst gefragt und haben Kollegen und nachfolgende Generationen im wissenschaftlichen oder praktischen Pflanzenschutz nachhaltig geprägt.

Rudolf Heitefuß wurde am 8. November 1928 als zweites von sechs Kindern eines Taubstummenlehrers in Braunschweig geboren. Von seiner Kindheit in Braunschweig hat er immer sehr positiv erzählt, auch wenn sie sicher nicht ohne Entbehrungen war. Er besuchte das Martino-Katharineum, die Oberschule für Jungen in Braunschweig, wurde aber 1944 vorzeitig als Luftwaffenhelfer eingezogen. Nach Kriegsende machte er zunächst eine Landwirtschaftslehre auf einem Betrieb im Kreis Helmstedt und kehrte dann an seine Schule in Braunschweig zurück, um 1950 die Reifeprüfung abzulegen. Danach waren die Signale für ihn auf Landwirtschaft gestellt. Nach einem kurzen Volontariat an der Forschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig-Völkenrode begann er 1951 das Studium der Landwirtschaft in Göttingen, welches er 1954 als Diplomlandwirt abschloss. Jetzt war auch sein wissenschaftliches Interesse an der Landwirtschaft, insbesondere dem Pflanzenschutz geweckt und so schloss sich unmittelbar die Promotion an, die er 1957 mit einer Dissertation zur physiologischen Pathologie des falschen Mehltaus an Raps bei Prof. Fuchs in Göttingen abschloss.

Einem guten Instinkt folgend, wechselte Rudolf Heitefuß unmittelbar nach der Promotion an das sehr renommierte Department of Plant Pathology der Universität in Madison, Wisconsin, USA, wo er von 1957 bis 1959 im Labor von J.C. Walker und M.A. Stahmann seine Interessen an physiologischen und biochemischen Aspekten der Pflanze-Pathogen-Interaktion gründlich vertiefen konnte. Ein bedeutender späterer Ausfluß dieses Aufenthalts ist nicht nur die langjährige Freundschaft mit Paul H. Williams, sondern vor allem das mit ihm zusammen herausgegebene voluminöse Standardwerk „Physiological Plant Pathology“, erschienen 1976.

Zurück in Göttingen begann er als wissenschaftlicher Assistent mit Untersuchungen zur Temperatursteuerung des Weizenschwarzrosts, mit denen er sich 1964 habilitierte. Von Prof. Fuchs erhielt er reichlich Gelegenheit, sich auch in der Lehre zu betätigen und entwickelte darüber neue Forschungsinteressen. So begann er mit Untersuchungen zu Nebenwirkungen von Herbiziden auf pathogene Pilze, insbesondere Fußkrankheitserreger im Getreide. Dies war zugleich die Brücke zu einem ganz neuen Interessensgebiet, der Unkrautbekämpfung, der er sich in den folgenden Jahren auf vielfältige Weise intensiv widmete.

Parallel erklomm er in Windeseile die akademische Leiter, wurde 1964 Oberassistent, 1971 apl. Professor und 1972 zum ordentlichen Professor für Pflanzenpathologie und Pflanzenschutz und Direktor des gleichnamigen Instituts an der Universität Göttingen berufen. Neben seiner Tätigkeit in Lehre und Forschung nahm er in den Folgejahren zahlreiche Ämter wahr und wirkte in verschiedenen bedeutenden Gremien mit. Er war Fachgutachter bei der DFG für das Fach Phytomedizin, 1. Vorsitzender der Deutschen Phytomedizinischen Gesellschaft (1975-1981), Vorsitzender des Ausschusses für Pflanzenschutz der DLG (1983-1991), Dekan der Landwirtschaftlichen Fakultät (1974 – 1975), Vorsitzender der Senatskommission zur Beurteilung von Stoffen in der Landwirtschaft (1989 – 1994), Herausgeber der Phytopathologischen Zeitschrift (1979-1999), um nur die wichtigsten Ämter zu nennen. Neben diesem umfangreichen Engagement außerhalb des Instituts betreute er eine unübersehbare Anzahl Diplomanden, über 100 Doktoranden und verfasste über 270 Publikationen sowie mehrere bedeutende Lehrbücher.

Von den Kollegen im praktischen wie wissenschaftlichen Pflanzenschutz wurde Rudolf Heitefuß schon früh als ein Experte geschätzt, der das Wissen eines Generalisten mit vielfältigen Detailkenntnissen verband. Mit seinem ausgleichenden Wesen und seiner stets sachlich fundierten Argumentation erwarb er sich auch in kontroversen Debatten die Wertschätzung von allen Seiten. Dies hatte eine Reihe von Ehrungen zur Folge. Für sein erfolgreiches Wirken wurde er 1996 mit der Otto-Appel-Denkmünze der Deutschen Phytomedizinischen Gesellschaft ausgezeichnet, deren Ehrenvorsitzender er war. Ferner ist er Träger der Prof. Niklas-Medaille in Silber, der Max Eyth Denkmünze in Silber und der Thaer-Thünen Medaille in Silber. Völlig zurecht ist sein Lebenswerk 2006 schließlich mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse gewürdigt worden.

Abgesehen von diesem enormen beruflichen Engagement war Rudolf Heitefuß aber auch ein Familienmensch und fand immer auch noch Zeit für seine Frau Barbara, seine drei Söhne und Tochter Elisabeth. Die Familie war ihm wohl der wichtigste Ausgleich und diese war für ihn auch bis zuletzt da, besonders seit dem Tod seiner Frau, der ihn veranlasste, zu Tochter Elisabeth mit Familie nach Sasendorf zu ziehen. Dort war er in der Familie bestens versorgt und verfolgte mit unermüdlichem Interesse den Alltag eines Kartoffelbetriebs in der Lüneburger Heide. Nach kurzem Krankenhausaufenthalt ist er am 3.10.2020 eingeschlafen.

Mit Rudolf Heitefuß verlieren wir eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die uns sowohl fachlich wie persönlich nachhaltig geprägt hat. Seine wissenschaftlichen Arbeiten haben dem Pflanzenschutz in Deutschland und darüber hinaus ganz wesentliche Impulse gegeben. Sein Leitbild eines umweltverträglichen integrierten Pflanzenschutzes, für das er wie kein anderer stand, ist heute von größter Aktualität und wird auch für uns weiter Richtschnur bleiben. Diesen ‚Spirit‘ hat er vor allem seinen zahlreichen Schülern mitgegeben, die an vielen verantwortlichen Stellen im Pflanzenschutz seine Vorstellungen weitergetragen und weiterentwickelt haben. Neben seinen herausragenden wissenschaftlichen Leistungen und dem Engagement in vielen Gremien ist Rudolf Heitefuß aber vor allem in seiner bescheidenen, wohlwollenden und stets zugewandten Art für uns ein bleibendes Vorbild. Sein kluger, niemals selbstbezogener und immer sachlich begründeter Rat wird uns und vielen Kolleginnen und Kollegen im Pflanzenschutz sehr fehlen. Seine Stimme und sein ausgleichendes Wesen wären besonders in der gegenwärtig polarisierten und sachfremden Diskussion um den Pflanzenschutz von eminentem Wert. Darauf müssen wir nun verzichten, aber seine Grundsätze und sein Agieren kann uns dennoch eine wichtige Leitlinie sein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines ehemaligen Instituts, die große Zahl seiner Schülerinnen und Schüler und alle die ihn als Kollegen kannten, werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Unsere besondere Anteilnahme gilt seinen Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln.

Andreas von Tiedemann, Göttingen