Räume für orale Kultur
Geschichtenerzählen und narrative Praxis in Westafrika
…storytelling may have the power to heal… in bridging the gap between private and public realms, storytelling enables the regeneration and celebration of social existence, without which we are nothing.
Michael D. Jackson
Geschichten verändern die Welt. Die Art und Weise, wie Menschen sich gegenseitig von ihr erzählen – in Alltagsgesprächen, in politischen Reden, in Liebesbriefen, Romanen, abends am Lagerfeuer, oder morgens im Frühstücksfernsehen – beschreibt die Welt nicht nur, sondern bestimmt, wie diese wahrgenommen und interpretiert wird. Die erzählte Welt ist ein lebendiges Sammelsurium aus großen und kleinen Geschichten, die sich aufeinander beziehen, sich voneinander abgrenzen, die einzelne Erzählerinnen und Erzähler in kollektiven Identitäten verankern und andere von ihnen ausschließen. Das Erzählen ist eine anthropologische Konstante. Es verleiht einer mitunter widersprüchlichen, chaotischen und unübersichtlichen Welt einen tieferliegenden Sinn und komponiert eine kohärente Geschichte daraus. In welcher Form diese Geschichten vermittelt und inszeniert werden, ist äußerst vielfältig und davon abhängig, in welchem sozialen Kontext sie erzählt werden.
Im Rahmen einer Sonderausstellung im Forum Wissen, die im Sommer 2026 ihre Türen öffnen wird, möchten wir uns gemeinsam mit dem Goethe-Institut mit mündlichen Formen des Geschichtenerzählens in Burkina Faso beschäftigen. Dabei handelt es sich um eine Wanderausstellung, die in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, kuratiert und präsentiert wurde und nun in Göttingen ausgestellt werden soll.
Mündliche oder orale Kultur umfasst insbesondere Traditionen, Orte und Momente des Geschichtenerzählens und ist damit wesentlicher Bestandteil der Weitergabe von Wissen, Werten und von Identitäten. Welche Rolle spielt orale Kultur im Kontext der Globalisierung? Wie verändert sie sich unter diesem Einfluss, und wie geht sie mit der Dynamik von sozialen und politischen Transformationsprozessen um? Burkina Faso erlebt seit zwanzig Jahren einen tiefgreifenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel, der insbesondere auch eine Zunahme von Unsicherheit und Gewalt mit sich bringt. Zeitgleich wächst in den urbanen Räumen eine neue Generation heran, die sich im internationalen Austausch befindet, die digitale Medien nutzt und am Wandel der globalisierten Welt teilhat. Für das Erleben und die Weitergabe oraler Kultur und von lokalem Wissen bleibt hier oftmals kein Raum mehr.
Immer weniger finden sich Orte und Momente der Weitergabe oraler Tradition – zum einen, weil Orte des Austausches wegbrechen, zum anderen, weil, wenn es diese Orte gibt, nur ein sehr geringer Teil der Bevölkerung teilhaben kann.
Das Goethe-Institut Burkina Faso arbeitet daher seit vielen Jahren mit Erzählerinnen und Erzählern von Geschichten zusammen und unterstützt lokale Initiativen. Mit dem Projekt möchte es nun mit neuen, digitalen Räumen des Erlebens oraler Kultur experimentieren.
Dazu entwickelt das Projekt verschiedene digitale und analoge Austauschformen sowie Aufnahme- und Wiedergabeformate, die orale Kultur an verschiedenen Orten sichtbar, hörbar und erlebbar machen sollen. Ein wichtiges Anliegen des Vorhabens ist es dabei, ein differenziertes und diversifiziertes Bild oraler Tradition, Kultur und Gesellschaft in Westafrika zu transportieren.
Nachdem die Ausstellung im Musée de la Musique in Ouagadougou präsentiert wurde, soll sie nun im Forum Wissen in Göttingen zugänglich gemacht werden. In engem Austausch mit den Kuratoren der Ausstellung wird momentan erarbeitet, wie die vielfältigen Geschichten aus unterschiedlichen Teilen Burkina Fasos im Forum Wissen sichtbar gemacht und für ein neues Publikum sinnvoll ausgestellt werden können.
Studierende sind dazu eingeladen, sich an diesem kollektiven Arbeitsprozess bis zur Ausstellung im Forum Wissen zu beteiligen und sich mit eigenen Ideen einzubringen. Bei Interesse wenden Sie sich bitte per Email an N. Schareika.
Studienarbeiten im Projekt können gerne zu eigenen Themen entworfen und ausgearbeitet werden. Alternativ können diese Themenvorschläge verwendet werden.
Team:
Institut für Ethnologie
Prof. Dr. Nikolaus Schareika
Katina Waidele
Forum Wissen
Tatjana Dübbel
Guillaume Mulard
Eva Völker
Goethe-Institut Burkina Faso
Mahamadi Ilboudo
Mahamoudou Nacanabo
Moise Ouedradraogo
Martin Pockrandt
Laufzeit:
2023-2026