In publica commoda

“..des Tragens eines deutschen akademischen Grades unwürdig”.
Die Aberkennung von Doktortiteln an der Georg-August Universität im “Dritten Reich"

Freitag, 29. Okt. 2004 SUB

Prof. Dr. Bernd Weisbrod (Göttingen)



Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen.

Legale Diskriminierung ist ein typisches Kennzeichen des “Unrechtsstaats”. Weder offene Verfolgung und Terror, noch ideologische Affinitäten und Aufstiegshoffnungen würden allein erklären können, wie groß die Zustimmungsbereitschaft und die Selbstmobilisierung insbesondere der bürgerlichen Funktionseliten im “Dritten Reich” war. Es bedurfte eines Anscheins von Normalität, einer geradezu illusionären Sicherheit in der alltäglichen Willkür, die im Rausch der nationalen Wiedergeburtsversprechungen eine Aussicht eröffnete, daß man in der großen Volksgemeinschaft mitmachen könnte und von der Gewalt selbst verschont bleiben würde. Das war das eigentliche Geheimnis der “Machtergreifung”: das Versprechen der Ordnung in der selbst verursachten Unordnung, die vermeintlich rechtsförmigen Verfolgung der Regime-Gegner bei vollständiger Entrechtung, die Androhung von Gewalt in der Illusion der fortbestehenden bürgerlichen Sekurität. Das war, wie Theodor W. Adorno gesagt hat, das emotional verständliche, aber regressive Bedürfnis nach dem großen “es wird gesorgt!”: “Die Volksgemeinschaft der Ungleichen und Unfreien, so Adorno, war als Lüge zugleich auch Erfüllung eines alten, freilich von alters her bösen Bürgertraums.”

Deshalb ist es so wichtig, daß wir die schleichende und umstandlose Mobilisierung der gesellschaftlichen Ressourcen für das Gewaltsystem seiner scheinbaren Normalität entkleiden, wie wir sie hier an den Verfahren der Aberkennung von Doktorgraden beobachten können. Das NS-System überbot sich geradezu in bürokratie- und rechtsförmigen Verfahren der Herrschaftssicherung, die aber den Rechtsbruch nicht zu vertuschen vermochten. Da half auch die in Gesetzesform gegossene Parole Carl Schmitts von der “putativen Staatsnotwehr” nichts, der nach den Staatsmorden des sogenannten „Röhm-Putsches“ im Juni 1934 erklärt hat: ”Der Führer schützt das Recht”! Tatsächlich aber meldeten die Regierungspräsidenten und Polizeistellen überall im Lande eine große Zustimmungsbereitschaft, geradezu ein Aufatmen der Bevölkerung angesichts dieses Gewaltexzesses, um – so das klassische Element der gesteuerten Angstabwehr – “Schlimmeres” zu verhüten. Ganz ähnliches kann man bei der politischen Säuberung der Beamtenschaft durch das verräterisch titulierte “Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” vom April 1933 finden, das die Ausschaltung “rassisch” oder politisch definierter Gegner des Regimes durch Kautelen einhegte, die etwa Kriegsteilnehmer vorläufig in Sicherheit wiegen, und natürlich alle anderen das Gefühl geben sollten, daß sie noch einmal davon gekommen waren. Wie das tosende Schweigen der Göttinger Kollegen zeigt, die sich dem Solidaritäts-Aufruf Ihres verfolgten jüdischen Kollegen James Frank verweigerten, der den Frontkämpferstaus durchaus hätte in Anspruch nehmen können. Der Selbst-Gleichschaltung der Universität und der Säuberung des Lehrkörpers hat das gewiss keinen Abbruch getan, zumal sich genug Kollegen fanden, wie der Althistoriker Ulrich Kahrstedt, der die Säuberungsaktionen offen verteidigte. Demonstrative Verbrechen wie die Staatsmorde beim sogenannten „Röhm-Putsch“ oder die politische Instrumentalisierung rechtsförmiger Verfahren wie bei der Verfolgungspraxis des Berufsbeamtengesetz müssen als Hintergrund bedacht werden, wenn wir heute die “Normalität” eines - wenn Sie so wollen - “minderen” Verfolgungsaktes betrachten, der sich “nur” in der Aberkennung von Doktorgraden durch die Universitäten niederschlug.

Tatsächlich handelte es sich dabei in der Regel lediglich um eine Fortsetzung anderer Verfolgungsmaßnahmen mit anderen, scheinbar bürokratischen und rechtsförmigen Mitteln. Von den 72 identifizierbaren Opfern in Göttinger Aberkennungsfällen – sieben weiter Fälle konnten nicht einwandfrei geklärt werden - hatten etwas mehr als Hälfte ihre Titel in Folge ihrer erzwungenen Auswanderung und des daraus folgenden Verlustes der Staatsbürgerschaft verloren. Unter das Ausbürgerungsgesetz fielen aber nicht nur prominente Vertreter der Wissenschaft, deren Fälle Sie auch in der Ausstellung wieder finden werden, wie die Nobelpreisträger Max Born oder Ludwig Quidde, der noch mit 75 Jahren 1933 in die Schweiz floh. Die vielen kleinen Unbekannten bestimmten den universitären Alltag der Titelaberkennungen. Das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft“ vom Juli 1933 bildete hier zwar die juristisch einwandfreie Grundlage, sanktionierte aber eine völkerrechtswidrige Ausbürgerungspraxis, die von Göring als eine Art „mittelalterlicher Reichsacht“ verstanden wurde. Auf dieser Grundlage konnte dann 1936 bei „Nichtariern“ neben dem Doktortitel auch gleich noch der Titel eines Professors oder Privatdozenten eingezogen werden. Auch in der nationalsozialistischen Austreibungspolitik zeigte sich somit der typische Effekt einer radikalisierenden Eskalation, an dem die scheinbare Rechtsförmigkeit der universitären Aberkennungsverfahren einen nicht unerhebliche Anteil hatte.

Manche Fakultäten gaben Ihr Recht zur Aberkennung in solchen Fällen gleich im voraus ab: So hatte die neue Promotionsordnung der Göttinger Juristischen Fakultät formuliert: „Die Doktorwürde erlischt, wenn dem Promovierten die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wird“. Ein solcher Automatismus hätte aber in beiden Fällen die geltenden Verfahrensregelung zur Entziehung außer Kraft gesetzt, indem die Fakultät auf den ihr eigentlich selbst zustehenden Rechtsakt verzichtete, ganz abgesehen davon, daß jüdische Kommilitonen generell nach 1936 zu Promotionsverfahren gar nicht mehr zugelassen waren, was die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät auch ausdrücklich in ihre Promotionsordnung übernahm. Es ist symptomatisch, daß sich hier – wie Heiko Frese schreibt - eine „weitgehende Anpassung der Göttinger Juristen an das nationalsozialistische Rechtsdenken (zeigt), in dem niedrigere Rechtsnormen sich ohne weiteres über formal fortgeltendes höher stehendes Recht hinwegsetzen.“ Von der Autonomie der Fakultäten in dieser Frage konnte aber ohnehin trotz der ministeriellen Vereinheitlichung der Aberkennungsregelung als „Kann-Bestimmung“ in allen preußischen Promotionsordnungen seit Juli 1934 nicht mehr die Rede sein. Andererseits reichte die „Wiederrufung der Einbürgerung aus rassischen Gründen“ als automatische Begründung – übrigens wegen der olympischen Spiele - bis zur einheitlichen Regelung von 1939 immer noch nicht aus. In der Sache war die Praxis aber schon längst der Formalisierung der Verfolgung voraus geeilt, die dann als allgemeine Regelung in das „Gesetz über die Führung akademischer Grade“ (1939) übernommen wurde, das übrigens noch bis weit in die Nachkriegszeit aus rechtspositivistischen Gründen Gültigkeit beanspruchen konnte.

Die andere Hälfte der Aberkennungen erfolgte üblicherweise im Zusammenhang mit Strafverfahren, die mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte als Nebenstrafe nach §33 StGB verbunden waren. Die Würde des Einzelnen wurde hier ausdrücklich der vermeintlichen Ehrenrettung der Korporation gegenüber gestellt und im Zweifelsfall geopfert. Im Zuge der Gleichschaltung unterzog sich die Universität damit einem demonstrativen Selbstreinigungsprozeß, der die in Weimar noch funktionierenden Verfahrenskontrollen zügig und immer weiter außer Kraft setzte. Nach Einführung der Meldepflicht in allen Strafsachen auch ohne Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte entwickelte die Universität eigene Routinen der Titelaberkennung in gefügiger Selbstverantwortung. Faktisch hatte der Universitätsrat mit dem Rektor hier eine Vorentscheidung in der Hand, die vom Dekanekonzil nur noch gebilligt werden mußte. In diesem bewußt geöffneten universitären Ermessenspielraum ging die Entscheidung aber in der Regel zuungunsten der ehemaligen Göttinger Doktoranden aus. Wir können hier sehen, wie die aus dem alten Weimarer Instrumentarium übernommene strafrechtliche Legitimation der Titelaberkennung – Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nur bei sehr hohem Strafmaß und eklatant ehrenrührigen Straftatbeständen – im Nationalsozialismus zu einem Gesinnungstest der universitären Selbstreinigung wurde. Die laufende Bestätigung der Entziehungen durch Reichserziehungsminister Rust beflügelte die Universität nur noch in ihrer rigorosen Politik.

Auf diese Weise entstand im vorauseilende Gehorsam, im raschen Vollzug ministerieller Erlasse und schließlich auch auf der formalen Grundlage von Gesetzen unter dem Deckmantel der Rechtsförmigkeit eine Instrument der Selbstmobilisierung der akademischen Korporation zulasten der vom Nationalsozialismus aus politischen und “rassischen” Gründen Verfolgten. Die Entkoppelung der Entziehungspolitik von dem Verlust bürgerlicher Ehrenrechte und die Verlagerung des Begründungszusammenhangs auf die Gesinnungskontrolle im Rahmen der Selbstreinigung der Universität verschärften die Lage für die Betroffenen. In den Promotionsordnungen selber wurde übrigens in Preußen 1934 generell der Tatbestand der “Unwürdigkeit” für die Aberkennung eingeführt, was allgemein auf die Einführung eines Gesinnungsstrafrecht hinweist, an dem sich auch die akademischen Gremien zu messen hatten. Die Übergänge zum politischen Selektionsdruck waren hier fließend, aber durchaus gewollt. So etwa bei der Aberkennung von Titeln in Folge der Verurteilung wegen praktizierter Homosexualität, die vor der Strafverschärfung von 1935 straffrei gewesen wäre. Man stieß sich auch nicht an der Denunziation in politischen Fällen wie Hochverrat, wo schon angebliche regelmäßige Treffen mit Staatsfeinden für die Höchststrafe ausreichten. Man sanktionierte mit dem Titelentzug auch die aus „volkstumspolitischen Gründen“ verschärften Praxis in Abtreibungsfällen und beteiligte sich aktiv an der eklatanten Entwürdigung von jüdischen Opfern in Rassenschandefällen (Fall Blumenberg). Tatsächlich waren „Nichtarier“ immer überproportional betroffen, nicht nur wegen ihrer Kriminalisierung durch die Rassegesetze selbst, sondern durch Denunziationen und fiktive Devisen- und Steuervergehen im Zuge der Auswanderung. Zu all dem hat die Universität wissentlich die Hand gereicht.

Für die Universität kam es ohnehin nicht mehr auf die rechtliche Überprüfung der Einzelfälle an, es genügte der vorauseilende Gehorsam im bürokratischen Vollzug, der die eigentliche Willkür als Verwaltungsakt tarnte. Da die Durchführung des “Führerprinzips” und die aus politischen Gründen verfolgte, vermeintliche “Vereinfachung der Hochschulverwaltung” die Verantwortung für die akademische Auslese- und Selbstreinigungsfunktion in diesen Fällen von den Fakultäten auf das Dekanekonzil unter Vorsitz des Rektors verschoben hatten, genügte die Meldepflicht in Strafsachen und umgekehrt die regelmäßige Meldung der Doktoranden an die Ortspolizeibehörde, um die Universitätsspitze faktisch zu einer staatlichen Vollzugsinstanz zu machen. Der Gesinnungsstaat zog den Überwachungsstaat nach sich, auch an der Universität, die ihre Mitglieder nur in den wenigen Fällen zu schützen versuchte, in denen deren Vergehen durch einen nationalsozialistischen Leumund aufgewogen werden konnte.

Aber prinzipiell ist die Universität hierbei, wie andere Einrichtungen des öffentlichen Lebens auch, von der Routine eines bedenkenlosen Staatsgehorsams eigentlich nie abgegangen. Es ist kein einziger Fall überliefert, in dem die Universitätsgremien etwa Anstoß genommen hätten. Die administrative Willkür steckte aber nicht nur im linientreuen Vollzug, sondern ganz generell in der Eifrigkeit, hier des Universitätsrats Dr. Hillmann, mit der “dem Führer entgegen gearbeitet!” wurde, wie Ian Kershaw das für das Gesamtsystem so treffend formuliert hat. In einem Fall – dem Fall Freudenthal – wurde der Doktorgrad in Göttingen sogar gleich zweimal entzogen, einmal infolge einer Verurteilung wegen Hochverrat, und dann noch einmal infolge der Ausbürgerung nach der Flucht aus dem Reich. Trotz der scheinbar regelhaften und berechenbaren Verwaltungspraxis ergibt sich daraus ein typisches Merkmal der “kumulativen Radikalisierung”: Die Praxis radikalisierte sich in der Ausfüllung der zur Selbtsmobilisierung eröffneten Ermessenspielräume wie in der Kumulation von Vorschriften, deren Einhaltung nur noch durch dauernde Verschärfung sicher gestellt werden konnte. Titelaberkennungen mögen neben den studentischen Relegationen, die wir übrigens ebenfalls untersucht haben, für die Universitätsspitze ein verwaltungsmäßig relativ unproblematisches Gebiet gewesen sein. Sie haben vielleicht auch deshalb im Selbstverständnis der Universität bis heute weniger Aufmerksamkeit gefunden als etwa die Preisgabe der akademischen Freiheiten in der politischen Berufungspraxis oder beim Wettlauf der “Mandarine” um die Pfründen einer “kämpfenden Wissenschaft”. Aber gerade dieses unscheinbare Geschehen im Universitätsalltag des „Dritten Reiches“ läßt erkennen, daß der später viel beschworene „Geist“ der Universität dem pervertierten Rechtssystem des “Dritten Reiches” nichts entgegen zu setzen hatte. Die Universitäten haben vielmehr selbst an der eingebauten Eskalation der Willkür mitgearbeitet, die im Zweifelsfall immer zu Lasten des juristisch diskriminierten Verfolgungsopfers ausschlagen mußte.

Die Verfolgungswillkür wurde durch die Rechtsförmigkeit der Verfahren also nicht eingehegt, wie mache Verwaltungsjuristen zu Beginn vielleicht noch geglaubt haben, sie wurde im Grunde immer nur in einer Richtung mobilisiert. Nur ein einziger Fall ist aus Göttingen bekannt, bei dem die Willkür zu Gunsten eines Opfers ausschlug: Ein in die Emigration gezwungener sogenannter “Halbjude”, gegen den die Universität sogar noch ohne strafrechtliche Verurteilung vorging – er hatte lediglich seine ihm selbst unbekannte jüdische Herkunft verschwiegen - konnte unter Berufung auf die frühe Trennung seiner Eltern und seine demonstrativ belegte nationalsozialistische Gesinnung am Ende seinen Titel retten, durch direkte Intervention beim Reichserziehungsministerium und gegen alle zwingenden Rechtsvorschriften (Fall Ehrenstein)! Wie man sieht, folgte die Willkür den Gesinnungsgründen nur in einer Richtung. Um so auffallender ist die Zurückhaltung, mit der in der Nachkriegszeit Göttinger Entpromovierte in Einzelfällen rehabilitiert wurden. Jedenfalls hat die Universität, wie am Schluß der Ausstellung dokumentiert ist, aus eigenen Stücken lange nichts unternommen, um das Unrecht systematisch aufzuklären, obwohl ein niedersächsischer Erlaß vom April 1947 die Universität dazu ausdrücklich ermächtigte. Auf Ersuchen von außen hat sie aber wohlwollend reagiert – in Fällen von Emigranten mehr, in Fällen von Strafverurteilten deutlich weniger - oft in Einzelfällen einfach nur durch Erneuerung der Doktordiplome, um der leidigen Frage der formal weiter bestehenden Rechtsgültigkeit der Aberkennungen zu entgehen. Ansonsten verließ man sich auch in solchen Fällen, in denen rechtmäßig aberkannte Doktortitel einfach wieder geführt wurden, auf den „Nachkriegskonsens des Beschweigens“, der aber als stille Rehabilitation der Universität, nicht der Verfolgten gedacht war.

Wir wollen mit dieser Ausstellung deshalb zweierlei: Wir wollen zum einen der moralischen Verpflichtung nachkommen, das geschehene Unrecht im Rahmen der Möglichkeiten der Universität wenigstens symbolisch zu heilen. Der Senat hat deshalb auch in seiner Sitzung am vergangenen Mittwoch eine entsprechende Erklärung abgegeben, die auf der letzten Tafel der Ausstellung dokumentiert wird. Es geht uns in dieser Ausstellung aber auch darum, die Dynamik der universitären Selbstmobilisierung im Nationalsozialismus am Beispiel eines ganz “normalen” Verwaltungsaktes sichtbar zu machen, der einzelne Personen nicht nur aus politischen oder „rassischen“ Gründen in ihren Rechten beschnitt, sondern, wie Sie sehen werden, auch in ihrer Menschenwürde verletzt hat. Deshalb haben wir auch das biographische Prinzip bemüht, um den Opfern wieder ein Gesicht und ihnen ihre Geschichte zurück geben zu können. Ohne dies wäre auch eine moralische Rehabilitierung wenig überzeugend, denn es ist uns eine Ehrenpflicht, auch diese Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung an der Universität Göttingen in ihren persönlichen Schicksalen anzuerkennen und – nach den Standards unserer Wissenschaft – auch zu würdigen.

Niemand sollte sich mehr auf den reinen Vollzugscharakter des Unrechtssystems an unserer Universität berufen können. Das ist das “hidden curriculum” dieser Ausstellung: Die Zerstörung der Rechtssicherheit und die Pervertierung des Rechtsbewußtseins folgte der Selbstmobilisierung der Universität für das „Dritte Reich“ auf dem Fuß. Jeder an seinem Platz und die Universitätsspitze vorneweg hielten sich vergeblich an der selbst produzierten Illusion eines rechtsförmigen Verfahrens fest, das nach der klassischen Unterscheidung Ernst Fraenkels im nationalsozialistischen “Doppelstaates” eigentlich zum “Normenstaat” gehörte. Als Gegengewicht zum „Maßnahmestaat“ taugte die Ordnung des scheinbar rechtsförmigen und bürokratischen “Normenstaates” jedoch wenig, obwohl sich Verwaltungsjuristen und andere Experten gerne mit einer solchen Vorstellung beruhigten. Die normenstaatliche Ordnung sicherte lediglich vorübergehend ein prekäres Arrangement, das die gewaltsame Dynamik des “Maßnahmestaates” freizusetzen half. Die eskalierende Regelungswut, die hoch bürokratischen Verfahren, die bis zum Kriegsende parasitär vernutzte Staatlichkeit markierten die typische Durchdringung aller „Normalität“ durch das Grundprinzip des Nationalsozialismus an der Macht, nämlich die Etablierung eines „Ausnahmezustandes in Permanenz“. So auch hier im kleinen universitären Alltag der Titelaberkennungen. So betrachtet, zeigen uns die scheinbar unscheinbaren Verfahren der Titelaberkennung an der Georgia Augusta, die wir hier ausstellen, daß auch die bereitwilligen Selbsttäuschung unserer Universität ihren Teil zum Funktionieren des nationalsozialistischen Unrechtsstaats beigetragen hat.

Zum Schluß möchte ich mich ganz herzlich bei meinem Kollegen Hubert Gönner bedanken, der sich als Physiker schon vor Jahren immer wieder dafür eingesetzt hat, daß dieses dunkle Kapitel unserer Universitätsgeschichte angemessen aufgearbeitet wird. Ohne seine wiederholte Initiative hätten wir weder die umfangreichen Recherchen von Heiko Freese finanzieren können, für die der Präsident schon vor einigen Jahren Mittel zur Verfügung gestellt hat. Deshalb auch an ihn von dieser Stelle aus ganz herzlichen Dank. Wir hätten auch Frau Kerstin Thieler nicht mit der Konzeption und Durchführung dieser Ausstellung betreuen können, die Ihnen nun Einblick in die “ganz normale” Verfolgungsroutine einer “ganz normalen” Universität geben soll. Lassen sie uns auch diese Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ehren, indem wir sie heimholen in das Gedächtnis unserer alma mater.