Frühere Geschichte des Seminars
Nordische Studien wurden an der Georg-August-Universität Göttingen beinahe seit deren Gründungszeit (1737) betrieben, d.h. seit mehr als zweihundert Jahren. Die Skandinavistik, oder wie sie früher meist hieß: Nordistik, dagegen gibt es als Fach und Institution an dieser Universität gerade (oder soll man sagen: bereits) seit 1935, d. h. über fünfzig Jahren. Es ist die einzige Institution dieser Art im Lande Niedersachsen.
Die vorliegende Darstellung, erstmals skizziert 1985 und zum Jubiläumsjahr der Georgia Augusta 1987 teilweise gekürzt, teilweise ergänzt und erweitert, will nicht mehr sein als eine Vorstudie zu einer aus den Quellen noch zu erarbeitenden Wissenschaftsgeschichte der Nordistik in Göttingen unter Einbeziehung der Ideengeschichte wie der Hermeneutik: nicht zuletzt zur Verdeutlichung der gegenwärtigen Situation. Denn die Vorgeschichte jeder Wissenschaft ist, als eine Archäologie sui generis, zugleich der Schlüssel zum Verstehen des eigenen wissenschaftlichen Handelns.
Am 1.Oktober 1985 konnte die Skandinavistik bzw. Nordistik ihr fünfzigjähriges Jubiläum als eigenes Fach und als selbständige Institution an der Georg-August-Universität Göttingen begehen. Zu besonderen Feierlichkeiten bestand jedoch kaum ein Anlaß, da die Gründung des Fachs im Jahre 1935 in jeder Hinsicht einer Geburt glich, bei der, um im Bild zu bleiben, der nationalsozialistische Geburtshelfer der Universität ein unerwünschtes, ja illegitimes Kind unterschoben hatte, von dem man weder Vater noch Mutter kannte und dessen Urheber an der Universität jedenfalls nicht zu suchen waren.
Denn durch Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 23.9.1935 wurde zum 1.Oktober 1935 nicht nur das planmäßige Ordinariat für Nordische Philologie der Berliner Universität und damit der prominenteste Lehrstuhl des Fachs an die Georg-August-Universität Göttingen verlegt, sondern zugleich auch dessen langjähriger Inhaber Gustav Neckel (1878-1940) nach Göttingen zwangsversetzt und gleichzeitig zum Direktor der neu zu errichtenden Abteilung für Nordische Philologie im Seminar für deutsche Philologie ernannt.
Den Stellenzuwachs hätte sich die Georgia Augusta, wie wohl jede andere Universität damals und heute, sicher gefallen lassen; der wenig jubiläumsträchtige Eingriff in die Selbstverwaltungsrechte der Universität, der selbst unter den Auspizien nationalsozialistischer Willkür ungewöhnlich war, fand dagegen kaum Zustimmung. Dabei handelte es sich bei Gustav Neckel, dem Nachfolger Andreas Heuslers (1865-1940) auf dem Berliner Lehrstuhl, um einen Nordisten von Rang und Namen, dessen Edda-Ausgabe damals (wie heute in der Neuausgabe von Hans Kuhn) zu den Standard-Texten des Fachs gehörte, dessen nationalkonservative Haltung, gepaart mit "völkischen" Neigungen, jedoch kaum Konflikte mit den nationalsozialistischen Machthabern vermuten ließ.
Mit diesem Zwangsakt beginnt jedoch nicht die Geschichte der Nordistik in Göttingen als Wissenschaft, sondern nur als selbständige Institution und als eigenes Fach. Die Anfänge der nordischen Studien in Göttingen reichen bis in die Gründungszeit der Universität zurück.
Das "Nordische" hatte von Schlözer und Rühs im 18.Jahrhundert über die epochale Begründung der Germanistik durch Jacob und Wilhelm Grimm im 19.Jahrhundert bis hin zur Forschungs- und Lehrtätigkeit eines Rudolf Meißner und Ludwig Wolff zwischen 1900 und 1935 eine kontinuierliche Pflege und Heimstätte an der Georgia Augusta gefunden; das Fach war jedoch bis ins 20.Jahrhundert hinein kaum selbständig hervorgetreten, sondern meist nur als Ergänzung und Seitenaspekt der älteren Germanistik verstanden worden.
Die Verlegung des bedeutendsten Lehrstuhls für Nordistik im ganzen Reich von Berlin nach Göttingen stellte daher in jeder Hinsicht eine Zäsur dar. Dabei hatte die Zwangsversetzung Neckels ihren Hintergrund wohl eher in einer bis heute nicht genau durchschaubaren, gegen Neckel gerichteten Intrige, bei der, wie man ungedruckten Quellen entnehmen kann, und wie noch lebende Zeitzeugen berichten, Privates und Politisches sich eigenartig vermischten. Die angebliche Liebesaffäre Neckels mit einer seiner Schülerinnen wird ebenso als Grund für die Zwangsmaßnahme genannt wie weltanschauliche Differenzen zwischen dem Preußischen Kultusministerium und dem Amt Rosenberg. Beides mag ineinanderfließen, wenn man bedenkt, daß Neckel bereits 1932 mit seiner Schrift über Liebe und Ehe bei den vorchristlichen Germanen von der germanischen Sittenreinheit gehandelt und damit dem nationalsozialistischen Germanenkult auch ideologische Wertmaßstäbe, insbesondere im Hinblick auf eine neue, arteigene Sittlichkeit, geliefert hatte. In der Gedenkschrift von 1944 wird Neckel in Anspielung auf diese Affäre als "Opfer einer gegen ihn gerichteten feindlichen Strömung, der er in seinem überarbeiteten Zustand nicht gewachsen war", bezeichnet, und in den Briefen von Andreas Heusler an Wilhelm Ranisch (hg. von K. Düwel und H. Beck) wird die Affäre Neckel mehrfach und ausführlich von Heusler angesprochen. Während Heuslers Jugendfreund Wilhelm Ranisch, der sich als pensionierter Gymnasiallehrer nach Göttingen zurückgezogen hatte, bei seinen persönlichen Kontakten mit Neckel zunächst "nichts Beängstigendes an ihm" gewahren konnte (Heusler an Ranisch, Brief 476/2 v. 19.1.36), zitiert Heusler verschiedene Berichte, denen zufolge Neckel "nicht mehr im vollen Besitz seiner Geisteskräfte" gewesen sein soll (Brief 475/1 v. 8.12.35). Als äußere Anlässe für Neckels Zwangsversetzung werden sein "Privatleben! Ou est la femme?", eine Attacke von "Bernhard Kummer", "dem bedenklichen Mythologen, gezüchtet als Helfer im nationalsozialistischen Werk" (Brief 432/2 v. 18.12.34), und das Gerücht genannt, Neckel habe "in einer Prüfung über Heine~[!] gefragt", worauf ihm kurzfristig der Auftrag für eine feierliche Universitätsrede in Berlin entzogen worden sei (Brief 466/2 v. 10.3.35). Hinzu kam ein von Bernhard Kummer erhobener Plagiatsvorwurf (Briefe 417 u. 472 v. 25.10.35 u. 28.10.35), der im Sande verlief. "Das Hin und Her mit N[eckel]", so heißt es dann drei Jahre später in einem Resümee Heuslers, "sei übrigens, wie mir ein Jurist schreibt, aus der Ungeschicklichkeit des Berliner Ministeriums entsprungen." (Brief 499/1 v. 28.1.38). In Neckels Leben hatte es nach Heuslers Ansicht, "einen Knacks" nach dem Tod seines Berliner Kollegen, des berühmten Germanisten Gustav Roethe im Herbst 1926 gegeben. Von einem schweren Unterdrückungskomplex (durch den Übervater ?) befreit (Brief 529 v. 6.4.33) habe er plötzlich "krankhaften Ehrgeiz, um nicht zu sagen: Größenwahn", entwickelt (Brief 466/2 v. 10.3.35), wobei auch seine von Heusler vordem sehr geschätzten geistigen und wissenschaftlichen Fähigkeiten verkümmert bzw. in die falsche Richtung der Germanentümelei und eines "Altertumsfimmels" (Brief 499/2 v. 28.1.38) gelenkt worden seien.
Es ist anzunehmen, daß die Göttinger Fakultät über die Hinter gründe der Zwangsversetzung Bescheid wußte. Darauf deutet auch ein undatierter, vertraulicher Aktenvermerk des Dekans, vermutlich vom Januar 1936, hin: "Mattiat weist darauf hin, daß Baeumler sich sehr stark für die Rehabilitierung Neckels einsetzt." Durch das ihr auf ungewöhnliche Weise zugekommene Ordinariat hatte die Philosophische Fakultät beinahe von einem Tag zum anderen eben dieses neue Fach samt Lehrstuhl, aber auch den neuen Kollegen. Sie reagierte, zuvor um ihre Stellungnahme gebeten, auf den außerordentlichen Vorfall reserviert und kühl. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, daß die Selbstergänzung des Lehrkörpers zu den elementaren Rechten der Selbstverwaltung einer Universität Humboldtscher Prägung gehörte und dieses Recht trotz manch früherer Einschränkung, etwa durch die behutsame und oft kluge Berufungspolitik preußischer Kultusminister, auch unter nationalsozialistischer Willkür noch einiges galt. Die Fakultät begrüße, so heißt es in einer undatierten Stellungnahme vom Sommer 1935, zwar die Errichtung einer neuen Professur und habe die Einrichtung einer solchen auch schon früher erwogen, zumal die "neue nordische Literatur" nur gelegentlich habe "herangezogen werden können" und Göttingen "wegen seiner angelsächsischen und nordischen Beziehung" für eine solche weitere Professur besonders geeignet sei. Einen bereits vorhandenen Lehrstuhl oder Teile des germanistischen Etats könne sie aber nicht dafür zur Verfügung stellen. Rücksicht zu nehmen sei ferner auf den geplanten Ausbau der Slavistik und auf die Tatsache, daß mit dem außerplanmäßigen Professor Ludwig Wolff bereits ein Nordist an der Universität, wenn auch ohne Lehrstuhl, vorhanden sei. Im übrigen, so heißt es bezeichnend und vielsagend, werde der Rektor persönlich in dieser Angelegenheit im Ministerium vorsprechen. Die Reserve gegenüber der Absicht des Ministers ist deutlich zu spüren. Sie galt wohl nicht dem Stellenzuwachs, sondern der Person Neckels. Dieser, offensichtlich geistig und körperlich in schlechter Verfassung, wollte denn auch das Amt erst gar nicht antreten, mußte aber doch, als ein entsprechendes Urlaubsgesuch vom Minister abgelehnt wurde, Anfang November 1935 mit seinen Vorlesungen über Metrik, Snorra Edda und Sagaliteratur sowie mit altnordischen und gotischen Übungen beginnen. Gustav Neckels Göttinger Tätigkeit blieb jedoch in jeder Hinsicht Episode. Seine Berliner Assistenten konnte er ebensowenig mit nach Göttingen bringen wie die für ein Studium der skandinavischen Sprachen unentbehrlichen Lektoren, und selbst der für die neue Abteilung für Nordische Philologie vorgesehene ständige Jahresetat in Höhe von fünfhundert Reichsmark konnte erst 1937 etatisiert werden, nachdem 1936 ein einmaliger Sonderbetrag in Höhe von zweitausend Reichsmark "zur Schaffung eines Grundstocks für die Lehrmittel sammlung" vom Minister bewilligt worden war. Gerade als sich das neue Fach finanziell und organisatorisch ein wenig konsolidiert hatte, wurde Neckel zum 1.November 1937 an die Universität Berlin zurück"berufen" - es ist auffällig, daß in diesem Erlaß nunmehr der Begriff "Versetzung" vermieden wird - und sein Lehrstuhl ebenfalls zurückverlegt.
Die recht kurze Geschichte der Nordistik als institutionell selbständiges Fach an der Georgia Augusta hätte so wahrscheinlich mit dem 1.November 1937 ihr Ende gefunden, wenn nicht genau zu diesem Datum Wolfgang Krause (1895-1970) als Nachfolger seines Lehrers E. Hermann auf den indogermanistischen Lehrstuhl von Königsberg nach Göttingen berufen worden wäre. Der Zusammenhang mit dem Weggang Neckels ist deutlich, zumal der Lehrstuhl sogleich die für Krause geschaffene Bezeichnung "Indogermanische Sprachwissenschaft und Runenkunde" und ab 1938 "Indogermanische Sprachwissenschaft und Altnordische Kulturkunde" erhielt. Mit dieser Doppelvenia waren nicht nur Krauses indogermanistische und nordistische Forschungs interessen angemessen bezeichnet, sondern auch die jahrzehntelange Personalunion der beiden Fächer und Institutionen in der Person Krauses vorgegeben. Zehn Tage nach seinem Amtsantritt in Göttingen bemühte er sich bereits um die "Wahrnehmung der Geschäfte" der "Abteilung für Nordische Philologie des Seminars für Deutsche Philologie", und am 7.1.1938 wurde er vom Minister zu deren Direktor ernannt.
Während Neckel, wohl aus persönlichen Gründen, sein Amt in Göttingen eher zögerlich versehen hatte, engagierte sich Krause trotz seiner starken Sehbehinderung, die mit zunehmenden Alter praktisch zur Erblindung führte, in den folgenden Jahren und Jahrzehnten in ungewöhnlichem Maße für die Nordistik, ja man geht wohl nicht ganz fehl mit der Behauptung, daß der altnordischen Sprache und Literatur, vor allem der Runologie, seine eigentliche wissenschaftliche Liebe galt, die in mancher Hinsicht zeitweilig sogar die Arbeit des Indogermanisten in den Hintergrund drängte. Wolfgang Krause studierte von 1914 bis 1920 in Berlin und Göttingen Klassische Philologie und Indogermanistik; schon bald lenkten Edward Schröder in Göttingen und Gustav Neckel in Berlin sein Interesse besonders auf den nordischen Kulturkreis. Während die bei dem Göttinger Indogermanisten Eduard Hermann verfertigte Dissertation von 1920 "Die Wortstellung in den zweigliedrigen Wortverbindungen" noch einen klassischen indogermanistischen Gegenstand behandelte, zeigte sich im Thema der Habilitationsschrift von 1923 "Die Frau in der Sprache der altisländischen Familiengeschichte" bereits deutlich die Hinwendung zur altnordischen Sprache und Literatur. 1929 auf den Lehrstuhl für Indogermanische Sprachwissenschaft an die Universität Königsberg berufen, verlegte er sich dort bald weitgehend auf das Gebiet der "altnordischen Kulturgeschichte", de facto auf das umfassende Spezialgebiet der Runologie. Krause wurde in den Folgejahren, unterstützt von seiner Frau Agnes, die das Nachlassen der Sehkraft durch ihre Mitarbeit kompensierte, zur international anerkannten Kapazität auf dem Gebiet der vor allem durch skandinavische Zeugnisse belegten Runologie, der Forschung über "die ein heimischen Schriftzeichen, deren sich die germanischen Stämme vor und teilweise neben dem Gebrauch der lateinischen Schrift bedienten," wie Krause es selbst in einer späten Schrift definiert hat.
Als Krause 1937 nach Göttingen berufen wurde, hatte er sein eigentliches runologisches magnum opus Runeninschriften im älteren Futhark (1937) bereits im Gepäck. Das Werk wurde 1966 durch Neufunde ergänzt und, völlig überarbeitet, auf den neuesten Forschungsstand gebracht, wobei sich die Mitarbeit des Göttinger Prähistorikers Herbert Jankuhn als besonders glücklich erwies. Wolfgang Krause war, um eine Formulierung Langes aufzugreifen, " 'reiner' Philologe [...], Junggrammatiker im besten Sinne des Wortes [...], abhold jeder gewagten Spekulation", er verzichtete, so H. Jankuhn in einem Nachruf, "auf geistvolle, aber vorschnelle Kombination" und hielt sich fern von "jeglicher Phrase".
Dies ist sicher die eine und wohl auch wichtigere Seite der Medaille. Aber gibt es nicht noch eine andere? Erklärt sich die Hinwendung des sehbehinderten, später blinden Gelehrten zur Runologie, einer Wissenschaft, die wie nur wenige andere innerhalb der Philologie die optische Prüfung ihrer Denkmäler erfordert, allein aus der sprachwissenschaftlich-nüchternen junggrammatischen Tradition? Genügt die psychologische Erklärung, daß gerade durch die Sehbehinderung die Beschäftigung mit den Runen zu einer extremen Herausforderung wurde, deren Bewältigung auch Beweis einer außergewöhnlichen wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit war? Oder waren es nicht auch und gerade die Runen mit ihrer oft geheimnisvollen Aura, den vielen ungesicherten Lesungen, den offenen Deutungsmöglichkeiten, die dem Sprachwissenschaftler und Positivisten (im besten Sinne) eine Tür in jenes Reich der Spekulation eröffneten, die er sich von seinem Wissenschafts-verständnis her eigentlich hätte verschlossen halten müssen? Vielleicht erklären sich so nicht nur die gewagten Deutungen dunkler Inschriften (auf die sich wohl jeder Runologe einlassen muß), sondern auch sein Interesse für keltische und germanische Religion, Runenmagie und für vorrunische Sinnbilder, das ihn, wenn auch nur kurz, in die Nähe der völkischen Sinnbildforschung des Dilettanten Karl Theodor Weigel brachte, wobei freilich die Redlichkeit und Unbestechlichkeit des Philologen Krause sich bald in vernichtender Kritik an solchem Dilettantismus äußerten. Diese Ambivalenz zwischen solider philologischer Detailarbeit, die Wilhelm Scherer im Hinblick auf Jacob Grimm einmal als "Andacht zum Unbedeutenden" charakterisiert hat, und einem oft vagen spekulativen Überbau kann man als geradezu klassisches Erbe der Philologie seit den Tagen der Brüder Grimm, die sich in ähnlicher Weise der deutschen und germanischen Religionsgeschichte und Mythologie näherten, vielfach beobachten. Bei Krause läßt sich diese Ambivalenz nicht nur in den runologischen Arbeiten ausmachen, sondern auch in manchen anderen Beiträgen zum Nordischen und Keltischen, die von Überlegungen zur Kenning als typische Stilfigur der germanischen und keltischen Dichtersprache (1930) über "Germanische Glaubensvorstellung in vorchristlicher Zeit" (1941) und den Abriß der Altwestnordischen Grammatik bis hin zum Handbuch des Gotischen und zur Sprache der urnordischen Runeninschriften reichen.
Im Zentrum von Krauses Forschungstätigkeit aber, jene Ambivalenz gleichsam in sich vereinigend, stand für Jahrzehnte die Runologie, die keineswegs nur ein esoterisches Einmann-Unternehmen war. Schon in Königsberg war Krauses Schülerin Hertha Marquardt entscheidend an diesen Forschungen beteiligt. Sie folgte ihrem Lehrer zunächst als "Schreibhilfe mit bibliothekarischer und wissenschaftlicher Ausbildung". 1938, nach ihrer noch in Königsberg vollzogenen Habilitation, erhielt sie eine Hilfskraftstelle (!), 1939 eine Büroangestelltenstelle (!) am neugegründeten "Institut für Runenforschung", ohne bis zu ihrem Wechsel zur Anglistik 1941 je die vielfach beantragte Assistenten- oder Dozentenstelle erhalten zu haben. Dagegen fand die Runologie als Forschungsgebiet in Göttingen bald ihre eigene Organisationsform. Mit Erlaß des Ministers vom 25. 3. 1938 wurde auf energisches Betreiben Krauses ein eigenes "Institut (Archiv) für Runenforschung" als Zentrum der Runologie eingerichtet, ohne daß diese neben dem Sprachwissenschaftlichen Seminar und der Nordischen Abteilung nunmehr dritte Institution unter Krauses Leitung je ordentlich etatisiert werden konnte, wodurch in den Folgejahren ständige Bettelbriefe um einmalige Zuschüsse (meist in Höhe von zweihundert Reichsmark jährlich) notwendig wurden.
Über Krauses runologische Tätigkeit, seine Auseinandersetzung mit dem runologischen "Konkurrenten" Helmut Arntz und seine Verwicklung mit dem unseligen "Ahnenerbe" der Nationalsozialisten und der von ihnen eingerichteten "Lehr- und Forschungsstätte für Schrift- und Sinnbildkunde" unter der Leitung des SS-Sturmbannführers Th. Weigel, ist von Ulrich Hunger unter Auswertung nahezu aller Quellen ausführlich, kompetent und loyal gehandelt worden. Krause hat sich, wie selbst Michael H. Kater in seinem notwendigerweise kritischen Werk über Das "Ahnenerbe" der SS 1935-1945 einräumt, trotz der Verbindungen zu den genannten nationalsozialistischen Institutionen und trotz seiner Tätigkeit als Leiter der "Lehr- und Forschungsstätte für Runen- und Sinnbildkunde" beim Ahnenerbe e.V. Göttingen, Theaterstraße 8, von 1943 bis 1944, im Dritten Reich wissenschaftlich und politisch kaum kompromittiert. Das für die Forschung so hinderliche Augenleiden erwies sich dabei, geschickt, ja listig eingesetzt, als von Vorteil. Auf Anfrage des Kurators nach seiner Parteimitgliedschaft konnte Krause kühl antworten, daß er zwar "der NSV, dem RLB sowie der Kreisgemeinschaft des Deutschen Roten Kreuzes" angehöre: "Die Mitgliedschaft der anderen wichtigen Gliederungen der Partei verbietet sich mir wegen meines Augenleidens und der sich daraus ergebenden Hemmnisse." Auch distanzierte er sich bereits frühzeitig von den völkischen Phantastereien eines Herman Wirth und verfolgte im übrigen zielstrebig seine runologischen Forschungen durch mehrere Reisen nach Skandinavien, wobei freilich die Kontaktaufnahme mit namhaften skandinavischen Gelehrten bald völlig fehlschlug: Krause hatte im Juli 1944 auf "Einladung des Präsidenten des Deutschen wissenschaftlichen Instituts in Kopenhagen, Professor Otto Höfler" Dänemark besucht. Seine brieflichen Kontaktversuche (u.a. mit Jón Helgason) waren von nahezu allen dänischen Wissenschaftlern "in der Form höflich", in der Sache aber strikt ablehnend, d.h. eisig, zurückgewiesen worden, wie Krause in einem Bericht an den Reichsminister vom 5.8.1944 offen hervorhebt. Politische Geschichte wird so zur Wissenschaftsgeschichte und umgekehrt!
Wenn auch die Runologie und damit das Institut für Runenforschung insgesamt das Fach Nordische Philologie in Göttingen bis 1945 dominierte, so hatte sich Krause doch seit seiner Berufung entschieden auch für die Belange der Nordischen Abteilung eingesetzt. Vor allem die Schaffung eines Lektorats für die neueren skandinavischen Sprachen war seit dem Amtsantritt Gustav Neckels in vielen Eingaben an das Ministerium immer wieder gefordert worden. Wolfgang Krause verstand es, in den Folgejahren durch den Einsatz von oft unter dem Existenzminimum bezahlten Hilfslektoren ein, wenn auch unregelmäßiges, Lehrprogramm in allen skandinavischen Sprachen einzurichten. Das Schwedische fand dabei die meisten Interessenten mit einem Anstieg von 3 Hörern im Wintersemester 1939/40 über 15 Hörer im Sommersemester 1942 bis zu 39 Hörern im Wintersemester 1946/47. Erst nach dem Krieg, im April 1946, gelang es, das von Dr. Christiane Boehncke in den Jahren 1939-1942 verwaltete Hilfslektorat für Schwedisch in ein hauptamtliches, außerordentliches Lektorat umzuwandeln, das ebenfalls mit Frau Boehncke besetzt wurde. Das heute noch bestehende schwedische Lektorat ist darauf zurückzuführen.
Aufgrund der Kriegsfolgen mußten die von Krause geleiteten drei Institute im Herbst 1945 vom Seminargebäude im Nikolausberger Weg für einige Zeit in bescheidene Ersatzräume in der Prinzenstraße 21 umsiedeln. Obwohl der alltägliche Kampf um Kleinigkeiten zunächst groteske Formen annahm, gingen die Vorlesungen und Übungen auf dem Gebiet der Nordischen Philologie bereits mit dem Wintersemester 1945/46 weiter. In den Akten ist die weltgeschichtliche Zäsur von 1945 kaum spürbar: auf Universitätsebene dieselben Namen und Unterschriften, dieselben organisatorischen Probleme, die alltägliche Kleinkrämerei, der Kampf um einen bescheidenen Etat; nur die Grußformel "Heil Hitler!" fehlte plötzlich! Auch um das Institut für Runenforschung, das formell weiterbestand, wurde es recht still. Die Runologie, überhaupt das "Nordische", hatte, durch die Nationalsozialisten gründlich diskreditiert, zunächst keine Konjunktur mehr, wobei kaum jemand bedachte, daß ja gerade der Norden, Skandinavien nämlich, in entschiedenstem Gegensatz und Widerstand zum Hitlerregime gestanden hatte.
Die wenigen Akten des Instituts für Runenforschung nach 1945 verweisen auf äußerliche Vergangenheitsbewältigung. Es geht um den "Sachbesitz der Forschungsstätte für Sinnbildkunde" und um die Bibliothek des "Ahnenerbes", die verschollen war und nicht wiedergefunden wurde. So war die Auflösung des Instituts für Runenforschung nur noch eine Frage der Zeit, und am 28.Februar 1950 schrieb der Kurator der Universität Göttingen an Professor Hans Neumann, den Direktor des Seminars für deutsche Philologie, ihm sei der Gedanke gekommen, "ob es nicht zweckmäßig ist, die Abteilung für Nordische Philologie und das Institut für Runenforschung unter der Leitung von Herrn Professor Dr. Krause zu einer besonderen Institution außerhalb des Seminars für deutsche Philologie zusammenzufassen." Diese Anregung, die wohl auf Krause selbst zurückging, hing ganz offensichtlich zusammen mit der von einem gewissen Dr. Walter Müller (Hannover, früher Greifswald) angeregten Gründung eines "Schwedischen Instituts" in Göttingen. Mit einer Denkschrift vom 5.2.1948 wollte er die Idee der an der Universität Greifswald beheimateten Auslandsinstitute in den Westzonen wiederbeleben, wobei ein schwedisches Institut an der Universität Göttingen die Keimzelle des eher phantastischen Unternehmens bilden sollte. Es ist wohl nur aus der Wiederaufbaueuphorie der Nachkriegsjahre verständlich, daß der sonst so nüchterne und sachliche Wolfgang Krause sich diese Anregung in ihrer ganzen Unrealistik zu eigen machte. In einer Denkschrift an den Senat vom 1.4.48 beantragte er unter ausdrücklichem Hinweis auf die Greifswalder Tradition die Errichtung eines Skandinavischen Instituts mit den drei Hauptabteilungen:
1. Philologie mit Volkskunde
2. Geschichte mit Urgeschichte und Kirchengeschichte
3. Geographie
Diese landeskundliche Konzeption der Nordistik sollte durch interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Historiker Hubatsch und dem Geographen Büdel gesichert werden, eine, wenn man will, durchaus moderne, jedoch auch in vieler Hinsicht unsolide und problematische Konzeption, vor allem in Anbetracht der bescheidenen personellen Ausstattung der Nordistik mit Wolfgang Krause als Doppelordinarius, Dr. Wilhelm Fauteck als Hilfsassistenten und Dr. Christiane Boehncke als Lektorin.
In einem Nachtrag vom 10.Juni 1948 zu seiner Denkschrift benannte Krause, unterstützt von dem Juristen H. Kraus, denn auch weitere Interessenten an dem neuen Institut, das fakultätsunabhängig und direkt der Universitätsleitung unterstellt sein sollte. Dieser erweiterte Vorschlag fand die Zustimmung des Senats. Zu einer Gründung des Instituts kam es jedoch nie, wohl weil der Kurator in seinem Bericht vom 31.8.1948 an den Minister das Vorhaben zwar generell begrüßte, zugleich aber diplomatisch abwiegelte: "Allzu leicht kann es hier geschehen, daß organisatorisch eine neue Institution bereits geschaffen wird, ehe sie mit wirklichem Leben erfüllt wird."
Die Errichtung des Skandinavischen Seminars im Frühjahr 1950 unter der Leitung Krauses war offensichtlich die realistische Antwort von Kurator und Minister auf die unrealistischen, hochfliegenden Pläne und zugleich wohl auch eine vom Kurator psychologisch gut dosierte Kompensation für das Scheitern derselben. Die entsprechenden Akten zeigen, wie rasch und relativ unbürokratisch zu jener Zeit solche Vorgänge in direktem Kontakt zwischen den Betroffenen erledigt werden konnten. Auf die bereits erwähnte Anregung des Kurators vom 28.2.1950 zur Zusammenfassung des Instituts für Runenforschung und der Nordischen Abteilung des Seminars für deutsche Philologie "zu einer besonderen Institution außerhalb des Seminars für deutsche Philologie" reagierten die beiden Direktoren Wolfgang Krause und Hans Neumann schon acht Tage später, am 8.März, zustimmend und beantragten, "daß möglichst ab 1.April 1950 anstelle der Nordischen Abteilung und des Instituts für Runenforschung eine eigene und selbständige Einrichtung mit dem Namen 'Skandinavisches Seminar' als ein zur philosophischen Fakultät gehörendes Seminar geschaffen werde." Der reguläre Jahresetat solle durch Abzweigung von DM 400.- aus dem Etat des Seminars für deutsche Philologie genommen werden. Das neue Seminar solle weiterhin zusammen mit dem Sprachwissenschaftlichen Seminar im Nikolausberger Weg 15 untergebracht bleiben. Bereits einen Tag später berichtet der Kurator dem Minister nach Hannover: "Die derzeitige Gliederung des Seminars für Deutsche Philologie hat sich trotz des guten persönlichen Einvernehmens zwischen Professor Krause und dem erheblich jüngeren Direktor des Seminars für Deutsche Philologie, Prof. Dr. Neumann, wiederholt als wenig zweckmäßig erwiesen." "Bedürfnis für ein besonderes Institut für Runenforschung" bestehe im übrigen nicht (mehr). Wiederum nur wenige Tage später reagierte der Niedersächsische Kultusminister und genehmigte durch Erlaß vom 20.3.1950 (Nr. I / 1101 / 50) mit Wirkung vom 1.April 1950 die Errichtung eines Skandinavischen Seminars in der Philosophischen Fakultät unter gleichzeitiger Ernennung von Wolfgang Krause zum Direktor der neuen Einrichtung.
Wenn auch mit der Bezeichnung der neuen Institution vor allem die bisherige Dominanz der Runologie zumindest in der durch Briefbögen und Stempel vermittelten Optik deutlich zurückgeschraubt wurde -- auch dies letztere wohl eine Folge des Krieges --, so änderte sich in der Praxis vermutlich nicht so vieles: die Personalunion mit dem Sprachwissenschaftlichen Seminar blieb bis zur Emeritierung Wolfgang Krauses bestehen, und dieser widmete weiterhin einen großen Teil seiner Schaffenskraft nordischen Themen, nicht zuletzt der Runologie. Seine zahlreichen Schüler aus diesen Jahren schildern ihn übereinstimmend und tief beeindruckt als umfassend gebildeten Gelehrten und als faszinierende Persönlichkeit. Krauses vielfältige Interessen griffen weit über seine engeren Forschungsgebiete hinaus. In den regelmäßigen schwedischen Konversationsabenden, die er in seiner Wohnung veranstaltete, mag man eine Verbindung jener Interessen mit der gerade noch lebendigen, aber schon dem Untergang bestimmten Konvention des geselligen Salons sehen, wenn auch in einer eher zurückhaltenden, nüchternen Form, wie sie den protestantisch-strengen Göttinger Universitätstraditionen wohl anstehen mochte, die unsolide Extravaganzen jeder Art von vornherein ausschlossen.
Nicht nur durch seine Doppelfunktion als Sprachwissenschaftler und Nordist, sondern vor allem als wissenschaftliche Persönlichkeit gehörte Wolfgang Krause, der 1938 in die Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt wurde, nahezu dreißig Jahre zu den dominierenden Gestalten der Göttinger Philosophischen Fakultät. Seine wissenschaftlichen Leistungen, insbesondere auf dem Gebiet der Runologie, fanden nicht zuletzt auch in Skandinavien breite Anerkennung; dies zeigt die Aufnahme in die Société Finno-Ougrienne in Helsinki im Jahre 1961 ebenso wie der Nachruf in Norsk Tidsskrift for Sprogvidenskap, wo Gerd H¢st ihn als großen "Forscher, Lehrer und Gelehrte[n]", als "echte[n] Humanist[en]" kennzeichnet und von seinen "zahlreichen Freunde[n] und Bewunderer[n] im In- und Ausland" spricht. Auch in Deutschland fanden die Leistungen Krauses, sein "dem Leiden abgetrotztes Werk", um eine Formulierung seines nordistischen Nachfolgers Wolfgang Lange aufzugreifen, breite Anerkennung, die sich in eindrucksvollen Ehrungen kundtat: der Festschrift zum 65. Geburtstag 1960 und einem Fackelzug zum 70. Geburtstag, den ihm die Göttinger Studenten 1965 darbrachten.
Als Wolfgang Krause 1970 starb, hinterließ er nicht nur ein gewichtiges wissenschaftliches Werk und eine nicht geringe Anzahl von Schülern, die bei ihm promoviert oder habilitiert wurden, sondern auch die Institution "Skandinavisches Seminar", die es ohne seinen Einsatz vielleicht gar nicht, sicher aber nicht in der organisatorisch selbständigen Form gegeben hätte.
Die Personalunion zwischen Sprachwissenschaft und Nordistik war bereits 1963 bei Krauses Emeritierung aufgegeben worden, und es erfolgte auch eine äußerliche Trennung der beiden Fächer und Institutionen: Wolfgang Lange wurde 1964 Nachfolger Krauses als Direktor des Skandinavischen Seminars und W. P. Schmid übernahm Krauses indogermanistischen Lehrstuhl und die Direktion des Sprachwissenschaftlichen Seminars. Das Skandinavische Seminar erhielt in diesem Jahr erstmals eigene Räume im ersten und zweiten Stock einer alten Villa in der Wilhelm-Weber-Straße 3, die zwar ihren eigenen Charme hatte, sich aber wegen der Dachschrägen im zweiten Stock im Laufe der Zeit doch als zu klein für den wachsenden Bücherbestand erwies. Ein "Runologisches Zimmer" bot nicht nur dem Emeritus Wolfgang Krause die erforderliche Arbeitsmöglichkeit, sondern beherbergte auch die von ihm betreute Bibliographie der Runeninschriften nach Fundorten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und vor allem auch seine runologische Sonderdrucksammlung in dem ehrfurchtgebietenden "Königsberger Schrank".
Das Skandinavische Seminar hatte nunmehr nicht nur eigene Räume. Fach und Institution konsolidierten und erweiterten sich unter Wolfgang Langes behutsamer Leitung und erhielten die auch für ein sogenanntes kleines Fach erforderliche personelle Ausstattung: zunächst eine Halbtagssekretärin und die erste planmäßige Assistentenstelle mit Dr. Klaus Düwel als Inhaber, später zum planmäßigen Lektorat für Schwedisch, das seit 1964 Ingrid Nerlund versah, das Lektorat für Dänisch (1964) mit Bitten Mikkelsen als Inhaberin. Zuletzt kam schließlich 1974, bevor die großen Sparmaßnahmen begannen, als letzter Personalzuwachs die zweite Assistentenstelle für den Bereich der Neueren Skandinavistik. Dagegen wurde das als großes Desiderat empfundene Lektorat für Norwegisch nie etatisiert, obwohl es Wolfgang Lange in einer Bleibeverhandlung fest zugesagt worden war. Lange, durch ein schweres Kriegsleiden gesundheitlich stark beeinträchtigt, mochte es vielleicht zu lästig und anstrengend geworden sein, die Einhaltung der Bleibezusagen ständig anzumahnen. Die vita dieses Gelehrten ist denn auch, wie bei vielen seiner Generation, durch die scharfe Zäsur des Zweiten Weltkrieges nachhaltig geprägt: 1944 ging die gesamte Auflage seiner Dissertation verloren, er selbst wurde als Frontoffizier schwer verwundet und geriet in russische Gefangenschaft, wo er vier Jahre lang bis 1949 in einem polnischen Bergwerk Zwangsarbeit unter Tage leisten mußte. Ein lebenslanges schweres Lungenleiden war die Folge.
Wolfgang Lange war am 29.Juni 1915 in Kiel-Friedrichsort geboren worden. Nach dem Abitur 1934 am Humanistischen Gymnasium in Wilhelmshaven folgten Arbeitsdienst und Militärzeit. Im Wintersemester 1935/36 nahm er in Kiel das Studium der Germanistik, Geschichte, Philosophie, Anthropologie, Musik- und Kunstwissenschaft auf. Otto Höfler, sein eigentlicher Lehrer, gab schließlich den Studien die entscheidende Richtung aufs germanische und vor allem nordische Altertum. Lange folgte seinem Lehrer 1938 nach München und promovierte 1939 während eines Fronturlaubs über das Thema "Der Drachenkampf. Mythos und Drama in der germanischen Überlieferung". Die altgermanische, insbesondere altnordische Dichtung und die germanische Altertumskunde als zentrale Arbeitsgebiete waren damit vorgezeichnet.
Der wissenschaftliche Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg war schwierig, gerade auf dem Gebiet der vom Nationalsozialismus vielfältig mißbrauchten Nordistik. Auf Empfehlung Wolfgang Krauses wurde Lange Assistent bei Ulrich Pretzel in Hamburg. Es fügte sich glücklich, daß in dieser Zeit Hans Kuhn die Nordistik von Kiel aus in Hamburg mitversorgte und entscheidende weitere Anregungen geben konnte. Auf den Rat von Wolfgang Krause und Hans Neumann habilitierte sich Lange 1955 in Göttingen im Fach "Germanische Philologie mit besonderer Berücksichtigung der skandinavischen Philologie". Er wurde 1956 Diätendozent an der Georgia Augusta und erhielt 1959, nachdem er einen Ruf nach München auf den Lehrstuhl seines Lehrers Otto Höfler abgelehnt hatte, ein Extraordinariat für Germanische, insbesondere Nordische Philologie und wurde zugleich Direktor des Seminars für deutsche Philologie. 1962 wurde er persönlicher Ordinarius, 1963 ordentlicher Professor. Aber erst 1964, nach der Emeritierung Wolfgang Krauses, wechselte er als Direktor in das Skandinavische Seminar über. Rufe nach Saarbrücken und Kiel lehnte er ab.
Wolfgang Lange vertrat noch, wie so mancher Gelehrte seiner Generation, das gesamte Gebiet der Germanischen Philologie und Altertumskunde, auch wenn von Anfang an die Orientierung zur Nordistik deutlich wurde. Mit seiner Habilitationsschrift, die den bescheidenen Titel Studien zur christlichen Dichtung der Nordgermanen 1000-1200 trägt, schuf er ein maßgebliches Standardwerk über die christliche Skaldendichtung bis 1200. In diesem Buch wurde anschaulich gemacht, wie der Christianisierungsprozeß in Skandinavien in der Dichtung reflektiert wurde, welche geistigen Voraussetzungen schon im Synkretismus des Spätheidentums für das Eindringen christlicher Vorstellungen bestanden und wie in der christlichen Skaldendichtung heidnische und christliche Traditionen sich vielfach überlagerten und mischten. Ein Band über Christliche Skaldendichtung mit deutschen Übersetzungen der komplizierten altnordischen Vorlagen und Texte zur germanischen Bekehrungsgeschichte rundeten dieses Forschungsgebiet ab. Ebenfalls zum Standardwerk wurde die von Wolfgang Lange unter Mitarbeit von Herbert Jankuhn herausgegebene und um ein Viertel erweiterte dritte Ausgabe der Germania des Tacitus von Rudolf Much, jene unentbehrliche, wenn auch nicht unproblematische Hauptquelle für die germanische Altertumskunde. Von den kleineren Arbeiten Langes zur nordischen Philologie sind vor allem eine eindringliche Studie zur altnordischen Novelle, aber auch Aufsätze zur neueren skandinavischen Literatur zu nennen. Seine besondere Neigung galt dabei dem als wesensverwandt empfundenen norwegischen Dichter Knut Hamsun, der nicht nur Gegenstand der Probevorlesung von 1955, sondern auch mehrerer Lehrveranstaltungen in den 44 Semestern war, die Wolfgang Lange an der Georgia Augusta in den Fächern Deutsche und Skandinavische Philologie lehrte. Das schwere Kriegsleiden machte sich schließlich immer stärker bemerkbar und führte 1977 zur vorzeitigen Emeritierung. Von der Krankheit gezeichnet, lebte Lange in den letzten Jahren zurückgezogen, ohne jedoch den Kontakt mit der Fachwelt zu verlieren. So wirkte er bis zuletzt als Mitherausgeber der Zeitschrift Skandinavistik. Er starb 1984 in Göttingen.
Seit 1979 ist der Verfasser dieser Zeilen als Nachfolger Wolfgang Langes und Inhaber des Lehrstuhls für "Germanische, insbesondere Nordische Philologie" für das Fach Skandinavische Philologie und das Skandinavische Seminar verantwortlich.
Dieses hat seit 1983 im Jacob-Grimm-Haus an der Humboldtallee, d.h. in den renovierten und umgebauten Räumen der ehemaligen chirurgischen Universitätsklinik, eine neue attraktive Bleibe gefunden, die eigentlich für die nächsten fünfzig Jahre ausreichen sollte.
Prof. Dr. Fritz Paul, 1985