Drittmittelprojekt
„,Wem gebührt unser Mitleid?' Terrorismusopfer und Gesellschaft in der Moderne“


- gefördert im Rahmen des Programms „Zukunftsdiskurse“ des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur (MWK) -


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Das Projekt


Die Bedrohung durch Terrorismus, verstanden als planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund, gilt als eine der dringlichsten Herausforderungen unserer Gegenwart. Es handelt sich aber keineswegs um ein neues Phänomen. Schon seit dem 19. Jahrhundert sehen sich Gesellschaften im Rahmen wellenförmiger Konjunkturen mit einer Form der Gewalt konfrontiert, die ihre Opfer zu Botschaftsvehikeln innerhalb einer politischen Kommunikationsstrategie degradiert. Diese will einerseits Angst, Schrecken und Empörung, andererseits Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen. Angesichts der daraus folgenden, prinzipiell ‚willkürlichen’ Auswahl der Anschlagsziele hat sich die historische Terrorismusforschung bisher ganz überwiegend mit den Täter*innen beschäftigt. Nicht zuletzt aus der gewachsenen Sensibilität für die Folgen von Gewalt auch für die oft lebenslang gezeichneten Überlebenden sowie die Angehörigen der Toten leiten sich jedoch neue Fragen an die Geschichte ab, denen dieses Projekt Rechnung tragen möchte.

Erstens zielt es darauf, historisches Wissen über die (Ohn)Macht und (Un)Sichtbarkeit von Opfern im Rahmen der gesellschaftlichen Deutungskämpfe zu generieren, die jeder terroristische Anschlag auslöst. Einerseits deutet vieles darauf hin, dass es sich bei einer Geschichte der Opfer terroristischer Gewalt um eine Geschichte vielfacher, sich überlagernder Instrumentalisierungen handelt und dass sich gesellschaftliche Hierarchien im Umgang mit Terrorismusopfern reproduzieren und verstärken. Andererseits zeigen jüngere Beispiele, dass einige Terrorismusopfer von einer gewachsenen Sensibilität für Gewaltopfer profitieren und unter bestimmten Umständen eigene Handlungsmacht entwickeln können.

Die Perspektive auf die Opfer soll diachrone und synchrone Vergleiche zwischen unterschiedlichen Gesellschaften und Formen von Terrorismus ermöglichen, die sich nicht wie bisher in erster Linie an den Motiven und Legitimationsstrategien der Täter orientieren. Dabei soll ebenso nach transnationalen Entwicklungen wie nach nationalen Pfadabhängigkeiten und situativen Dynamiken Ausschau gehalten werden. Methodisch werden vor allem jüngere Anregungen aus der Moral History sowie der Geschichte der Gefühle aufgegriffen.

Da heutige Debatten über den Terrorismus und seine angemessene Bekämpfung trotz der langen globalen Geschichte terroristischer Gewalt meist auf die nationale Ebene verkürzt und ohne historische Fundierung geführt werden, soll zweitens ein öffentlicher Dialog zwischen Historiker*innen und relevanten gesellschaftlichen Akteur*innen im In- und Ausland initiiert werden, in dessen Mittelpunkt die Perspektive der Opfer und die Fürsorgepflicht von Staat und Gesellschaft stehen. Beteiligt werden Wissenschaftler*innen anderer Disziplinen, Journalist*innen, Jurist*innen, Politiker*innen, Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Betroffene selbst.

Dieser Dialog soll Interessierten vor allem über einen Podcast zugänglich gemacht werden. Er soll auf allen Seiten das Bewusstsein für die Komplexität gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse von Opferschaft erhöhen, die historische Tiefendimension heutiger Problemkonstellationen sichtbar machen und dafür sensibilisieren, dass der Status von Opfern terroristischer Gewalt auch in Zukunft prinzipiell prekär bleiben wird. Denn die Antwort auf die Frage, wem in einer Gesellschaft Mitleid gebührt, wem es gewährt und wem es vorenthalten wird, hängt von vielen Faktoren ab, die ihrerseits historisch wandelbar sind.