30/09/2013:
Branchenzuschläge in der Leiharbeit helfen wenig gegen Niedriglohnbeschäftigung
Leiharbeitskräfte werden regelmäßig schlechter bezahlt als ihre Kollegen in Festanstellung. Nicht nur waren 2010 die mittleren Bruttoverdienste von vollzeitbeschäftigten Leiharbeitern nur etwa halb so hoch wie die von regulär Vollzeitbeschäftigten (siehe 25.01.2012), drei Viertel aller in Vollzeit beschäftigten Leiharbeiter hatten sogar nur ein Einkommen erzielt, das unterhalb der Niedriglohnschwelle gelegen hat (siehe 18.08.2012).
Um die hohen Verdienstabstände zu verringern, haben verschiedene Einzelgewerkschaften in einigen Branchen die Zahlung von nach Einsatzdauer gestaffelten Branchenzuschlägen für die Leiharbeitsbeschäftigten durchsetzen können. Entsprechende Vereinbarungen sind zum Beispiel in der Metall- und Elektroindustrie (siehe 22.05.2012), der Chemieindustrie (siehe 20.06.2012), in der Textil- und Bekleidungsindustrie sowie in der Holz- und Kunststoffverarbeitenden Industrie (siehe 05.11.2012) in Kraft getreten. Erste Zuschläge in Höhe von 5, 7 oder 15 Prozent werden meist nach einer Einsatzzeit von sechs Wochen gezahlt. Je nach Dauer der Einsatzzeit steigen die Zuschläge auf bis zu 50 Prozent nach neun Monaten im Kundenbetrieb, wobei anzumerken ist, dass fast die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse in Leiharbeit nach weniger als drei Monaten und die große Mehrzahl der Beschäftigungsverhältnisse bereits vor Erreichen der nötigen Einsatzzeit von neun Monaten wieder beendet ist.
Welche Wirkungen können die Branchenzuschlagstarifverträge entfalten, und inwiefern können sie dazu beitragen, prekäre Beschäftigung in der Leiharbeit einzudämmen und Leiharbeitskräfte aus dem Niedriglohnsektor herauszuholen? Diese Fragen will der Volkswirt Alexander Spermann in einem weitgehend schönfärberischen Beitrag für die Reihe IZA Policy Paper des arbeitgebernahen Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) beantworten. Spermann, der lange Jahre am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim tätig war, ist heute „Director Talentmanagement Flexworker & Public Affairs“ beim Personaldienstleister Randstad, einer der größten Leiharbeitsagenturen in Deutschland.
Spermann gibt zunächst einen Überblick über die Entwicklung der Leiharbeit in den vergangenen vierzig Jahren, über die Entwicklung, die zu den mittlerweile neun geschlossenen Tarifvereinbarungen zu gestaffelten Branchenzuschlägen geführt hat, sowie über die Grundzüge der Vereinbarungen. Anschließend versucht er die Frage zu beantworten, ob Branchenzuschläge in der Leiharbeit ein Instrument sind, um Leiharbeitskräfte nicht nur besser zu bezahlen, sondern aus dem Niedriglohnsektor herauszuholen.
Unter Zugrundelegung eines Niedriglohnschwellenwerts des Statistischen Bundesamtes von 2010 in Höhe von 10,36 Euro errechnet Spermann, dass Leiharbeiter in der untersten Gehaltsstufe in der Metall- und Elektroindustrie sowie in der Chemieindustrie in Westdeutschland nach einer Einsatzzeit von fünf Monaten, in Ostdeutschland nach sieben Monaten einen Stundenlohn erreichen, der über dem genannten Schwellenwert liegt. In anderen Branchen wie etwa der Druckindustrie dauert es länger, während in der Mehrzahl der Branchen mit Branchenzuschlagstarifvertrag Leiharbeiter der untersten Gehaltsgruppe den Niedriglohnsektor auch mit den Zuschlägen nicht verlassen können.
Dieser eher ernüchternde Befund, dass die Zuschüsse nur in wenigen Branchen Leiharbeitern das Entkommen aus der Niedriglohnbeschäftigung ermöglichen, wird noch zusätzlich von der Tatsache getrübt, dass viele Leiharbeiter die rechnerisch nötige Einsatzzeit gar nicht erreichen, um in den Genuss ausreichend hoher Branchenzuschläge zu kommen. Spermann selbst verweist auf das Problem, nennt dazu aber wenig aufschlussreiche Zahlen.
Fazit: Auch wenn der Autor sehr bemüht ist, die Leiharbeitsbranche in ein günstiges Licht zu stellen, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Leiharbeit für große Teile der rund 800.000 Beschäftigten der Leiharbeitsbranche trotz angehobener Mindestlöhne (siehe 17.09.2013) und Branchenzuschlägen weiterhin nicht mehr als eine prekäre Beschäftigung im Niedriglohnsektor darstellt.
Quelle:
Spermann, A. (2013): Sector Surcharges for Temporary Agency Workers in Germany: A Way Out of the Low-Wage Sector? IZA Policy Paper, No. 67, August 2013.