Achtung Archiv: alle Angaben können veraltet sein.



Wir als Stift haben uns dazu entschieden, in diesem Semester den Frauen-Notruf Göttingen als Sozialprojekt zu unterstützen und damit zum einen Spenden für die Finanzierung der Arbeit dieses Vereins zu sammeln, zum anderen aber auch ganz allgemein dazu beitragen, das Thema der sexuellen und häuslichen Gewalt von dessen Tabuisierung zu befreien, ihm Raum zu geben und darüber aufzuklären.

Die geringe öffentliche Wahrnehmung entspricht nämlich in keinster Weise den realen Fallzahlen – so stellt etwa das Bundesfamilienministerium Anfang dieses Jahres in einer Stellungnahme fest: „Jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten“1.

Dabei ist die Hürde für die Opfer oft hoch, sich jemandem anzuvertrauen und sich Hilfe zu suchen – durchschnittlich sieben Jahre braucht es, bis Frauen, die Opfer von häuslicher und/oder sexueller Gewalt geworden sind, Hilfsangebote in Anspruch nehmen2.

Umso wichtiger ist die Arbeit von Anlaufstellen und Hilfsorganisationen wie dem Frauen-Notruf Göttingen, die niederschwellige und schnelle Hilfen für Betroffene bereitstellen und mit ihrer Arbeit dafür sorgen, dass es mehr Frauen gelingt, sich aus solchen prekären Verhältnissen zu befreien und in ihren jeweiligen individuellen Situationen nicht auf sich alleine gestellt sind, sondern professionelle Unterstützung erfahren.
Der Frauen-Notruf Göttingen hat ein weites Tätigkeitsspektrum: Hauptsächliche Aufgabe ist die Betreuung und Beratung von (weiblichen) Opfern häuslicher/sexueller Gewalt und deren Bezugspersonen; darüber hinaus ist der Verein aber auch bei Polizeieinsätzen zur pro-aktiven Betreuung der Opfer (‚BISS Göttingen‘) aktiv, bietet die Beratung und Betreuung minderjähriger Opfer (Mädchen*Jungen) von sexueller/häuslicher Gewalt und deren Bezugspersonen an (‚phoenix‘), engagiert sich in der Prävention geschlechtsbezogener Gewalt – beispielsweise in Form von Schulungen – und ist in der Öffentlichkeitsarbeit aktiv.

Zur aktuellen Situation der Arbeit des Frauen-Notruf Göttingen schreibt der Verein, im letzten Jahr habe er über 1000 Fälle betreut (inkl. phoenix). Damit seien sie am Limit dessen, was sie momentan personell stemmen könnten. „Darüber, dass wir in Zeiten hoher Auslastung viel seltener das Telefon bedienen oder bei Fällen weniger nachhaken können sowie auf die Bewerbung unserer Angebote verzichten, reguliert sich das Fallaufkommen auf ein gerade noch irgendwie bearbeitbare Maß.“3 Herausforderungen stellten etwa der Mangel an zu vermittelnden Therapieplätzen und die mangelnde Unterstützung für kaum Deutschsprechende dar. Zudem werden durch die mittlerweile häufigere Inanspruchnahme der Dienste des Frauen-Notrufs durch Menschen mit geistiger Behinderung und die in den letzten Jahren massiv wegbrechenden anderweitigen Unterstützungsangebote für geflüchtete Menschen zusätzliche Personal- und Zeitressourcen erforderlich.
Der Göttinger Frauen-Notruf wird zu je einem Drittel durch das Land Niedersachsen, durch die Stadt und den Landkreis Göttingen sowie durch Eigen- und Drittmittel finanziert. Für Letztere müssen Jahr für Jahr neue Unterstützer*innen gefunden und Spenden eingetrieben werden.
Es ist also ersichtlich, wie gravierend das Thema der sexuellen und häuslichen Gewalt auch noch oder vielleicht gerade heute ist (und in Zeiten von Corona noch größere Ausmaße annimmt). Dass diese Problematik in der öffentlichen Debatte kaum Gehör findet, zeugt also keineswegs davon, dass sie nur eine gesellschaftliche Randerscheinung darstellt, sondern vielmehr davon, wie gering die Sensibilisierung desbezüglich ist und wie wichtig es ist, diese Thematik mehr publik zu machen und entsprechende Organisationen zu unterstützen. Die Tabuisierung und die geringe gesellschaftliche Wahrnehmung erschwert es den Opfern zusätzlich, Gehör zu finden und den Schritt zu wagen, sich an professionelle Hilfsstellen wie den Göttinger Frauen-Notruf zu wenden. Umso wichtiger ist die Arbeit dieser Organisation – sowohl, was den konkreten Beistand für die Betroffenen, also auch, was die Präventiv- und Öffentlichkeitsarbeit anbelangt. Die Zahlen und die Überlastung der Organisationen zeigen, wie relevant solche Hilfsangebote sind und wie prekär die Versorgungslage sein muss, wenn nach Eigenaussagen kaum noch eine flächendeckende Versorgung und Betreuung von Betroffenen gewährleistet werden kann.

Wir als Theologisches Stift möchten uns herzlich für die wertvolle Arbeit des Frauen-Notrufs Göttingen bedanken und hoffen, durch unsere Spenden zur Unterstützung dieses Engagements beitragen zu können.
1 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/haeusliche-gewalt/80642
2 http://www.gewaltschutz.info/index.php?kap_seite=0,1
3https://www.frauen-notruf-goettingen.de/fileadmin/download/Sachbericht_Frauen-Notruf_2019.pdf