Lumbung als Dritter Raum - Eine Analyse des Ausstellungskonzepts der documenta fifteen (M.A.)

von Sophie Eckhardt


Vom 18. Juni bis 25. September 2022 fand die fünfzehnte Ausgabe einer der bedeutendsten internationalen Ausstellungen für Gegenwartskunst, die documenta fifteen, in Kassel statt und wurde erstmals von einem Künstler*innenkollektiv kuratiert. Ruangrupa stellen die sogenannte lumbung-Praxis in den Mittelpunkt der Ausstellung und konzeptualisieren somit die gemeinschaftlich genutzte Reisscheune (lumbung), die in ländlichen Gemeinschaften Indonesiens für die überschüssige Ernte genutzt wird, als alltägliche künstlerische Praxis, in der Teilen, nachhaltige Ressourcennutzung und Gemeinschaft prioritär ist.

In einem Interview mit dem postkolonialen Literaturwissenschaftler Homi K. Bhabha in der Zeitschrift KUNSTFORUM wurden die deutlichen Parallelen Bhabhas theoretischer Ansätze des Dritten Raums mit dem Ausstellungskonzept der documenta fifteen kontrastiert. Bhabha verweist zur Einschätzung dieser Hypothese auf die Notwendigkeit einer ausführlichen Analyse der Ausstellung. Diese Untersuchung wird zum Forschungsgegenstand dieser Arbeit gemacht, um zu überprüfen, inwiefern das Ausstellungskonzept lumbung der documenta fifteen als Dritter Raum, also als Zwischen- oder Grenzraum kultureller Begegnungen eingeordnet werden kann, in dem Bedeutungen, Identitäten und Gemeinschaft neu verhandelt werden.

Ein deduktives Vorgehen ermöglicht die Formulierung eines Kriterienkatalogs anhand des theoretischen Rahmens Bhabhas, um die lumbung-Praxis als Dritter Raum zu identifizieren. Ethnografische Methoden wie die Teilnehmende Beobachtung, explorative Interviews und die fotografische Dokumentation dienen ergänzend als induktive Untersuchung der Dritten Räume auf der documenta fifteen und geben Aufschluss über die Verhandlungsprozesse gesamtgesellschaftlicher Themen im Rahmen der documenta fifteen.
Als Bewohnerin der documenta-Stadt Kassel nahm ich die Durchführung der documenta fifteen im Jahr 2022 zum Anlass im WiSe 2022/23 meine Masterarbeit zu schreiben. Der Zeitraum der Ausstellung von 100 Tagen diente dabei als Rahmen für die Feldforschung, in dem ich an dem Programm der Kunstvermittlung teilnahm, die Ausstellungsorte besuchte, fotografierte und beobachtete. So kam ich schnell in Kontakt mit Menschen, führte informelle Gespräche und sammelte Erfahrungen, die eine Grundlage für die anschließende Durchführung von explorativen Interviews legten. Die Forschungen ergänzte ich durch Literaturrecherche, über die ich auf das Interview mit Homi K. Bhabha gestoßen bin. Anhand antizipierter Verbindungen zwischen der Theorie des Dritten Raums und der lumbung-Praxis konkretisierte sich das Thema meiner Masterarbeit.
Ich bin 28 Jahre alt und studiere seit 2015 Ethnologie und Geschlechterforschung in Göttingen. Während meines Bachelors habe ich auch in Göttingen gelebt, danach hat es mich aber in meine Geburtsstadt Kassel zurückgezogen. Dort habe ich zweieinhalb Jahre als Koordinatorin für internationale Freiwilligendienste gearbeitet und junge Menschen aus Ländern des Globalen Südens während ihres Freiwilligendienstes in Deutschland begleitet. Ich habe schon immer gerne meine beruflichen und privaten Projekte und Themen mit meinem Studium verbunden, um die Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Leben zu erleichtern. So ist auch das Thema meiner Masterarbeit entstanden, welches die documenta fifteen als Teil meines Alltags aufgreift und zum Mittelpunkt meines Studiums macht.

Die Repräsentation von Kulturen und kulturellen Identitäten sowie die Konstruktion von Wissen und die dahinterstehenden künstlerischen Prozesse in Ausstellungen und im Museum sind Themen, die ich sowohl im Bachelor als auch im Master der Ethnologie spannend fand und möglicherweise auch nach meinem Studium weiterverfolgen möchte.

Das Ausstellungskonzept der lumbung-Praxis lässt sich insofern als Dritter Raum verstehen, als dass es Menschen aus unterschiedlichen sozialen, politischen, wirtschaftlichen, globalen und lokalen Kontexten zusammenbringt, die gemeinsam auf Augenhöhe über gesamtgesellschaftliche Phänomene, Problemstellungen und Krisen diskutieren und so die Rahmenbedingungen einer nachhaltigen, solidarischen Gemeinschaft aushandeln. Eine kritische Analyse dazu findet sich in meiner Masterarbeit.