International Workshop, "Representations and Visions of Homeland in Modern Arabic Prose Literature and Poetry" (Göttingen, 30 June - 1 July 2011)
Heimatland und Nation spielen eine herausragende Rolle in der modernen arabischen Literatur. Umgekehrt hat die arabische Dichtung im 19. und 20. Jahrhundert den arabischen Nationalismus in seinen unterschiedlichen Spielarten maßgeblich gestaltet. Mit einem Schwerpunkt auf der seit 1950 entstandenen Literatur wird sich der Workshop „Visions and Representations of Homeland in Modern Arabic Literature“ insbesondere der Ästhetisierung und Fiktionalisierung von Heimatland und Nation in moderner arabischer Lyrik und Prosa widmen, um die widerstreitenden Darstellungen von watan in ihrer politischen und künstlerischen Verflochtenheit zu beleuchten.
Nach der Zeit des postkolonialen Aufbruchs und der nationalen Projekte in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren nahmen Literaten und Intellektuelle ab den frühen 1980er Jahren zunehmend eine kritische Haltung gegenüber ihren häufig autoritär geführten Ländern ein. In den letzten zwanzig Jahren schließlich mehrten sich die Stimmen der Resignation, die jegliche Entwicklung zu einer besseren politischen Lage als unmöglich deklarierten. Wie sieht die Situation nun nach dem Frühling der arabischen Revolution 2011 aus, und welche neuen Perspektiven ergeben sich dadurch für arabische Schriftsteller?
Umrahmt werden die Vorträge und Diskussionen von der Vorführung des neuen libanesischen Dokumentarfilms „Waiting for Abu Zaid“ (Regie: Mohammad Ali Atassi) und einer Lesung mit zwei arabischen Schriftstellern: der Libanesin Alawiyya Sobh, deren Roman „Marjams Geschichten“ 2010 bei Suhrkamp erschien, und Abbas Khider, dessen zweiter Roman „Die Orangen des Präsidenten“ (Nautilus) im Frühling 2011 für Gesprächstoff in den deutschen Feuilletons sorgte.
Filmabend, 30. Juni
Waiting for Abu Zayd
Ein Dokumentarfilm von Mohammad Ali Atassi
Waiting for Abu Zayd portraitiert den ägyptischen Literatur- und Islamwissenschaftler und einen der führenden liberalen Denker des Islam Nasr Hamid Abu Zaid. Dieser steht in der Tradition der philologischen Koraninterpretation. »Wir müssen mit dieser Tradition aktiv umgehen«, argumentierte er. »Wir leben in modernen Zeiten und sehen uns mit Fragen konfrontiert, die bei unseren Vorgängern nie aufgetaucht sind – Menschenrechte, Gleichstellung von Mann und Frau, harmonisches Zusammenleben mit anderen Kulturen.« Korangelehrte in Kairo warfen ihm nicht nur vor, er zweifle am göttlichen Ursprung des Koran und sei kein Muslim mehr, sondern klagten auch beim Zivilgericht: er sei ein Apostat, was 1995 die Ablehnung seiner Ernennung zum ordentlichen Professor und die Zwangsscheidung von seiner Frau, der Romanistikdozentin Ibtihal Yunis zur Folge hatte. Der Gelehrte ging schließlich ins niederländische Exil, wo er als Professor für Islamische Studien an der Universität Leiden tätig war. Der Fall Abu Zaid wurde sowohl in Ägypten als auch international bei fachkundigem Publikum sehr kontrovers diskutiert. Kurz nach dem Ende der Dreharbeiten starb Nasr Hamid Abu Zaid am 5. Juli 2010 in einem Krankenhaus in Kairo.
Mohammad Ali Atassi, geb. 1967 in Damaskus, ist Journalist und Filmemacher. Er studierte in Damaskus und Paris. Für Waiting for Abu Zayd folgte er Abu Zaid sechs Jahre lang mit seiner Kamera. Der Film wurde auf dem FID Marseille 2010 ausgezeichnet.
Literarische Lesung, 1. Juli
Was ist das für ein Land, in dem es anstelle einer Amnestie Blutorangen für die politischen Gefangenen gibt? Abbas Khider skizziert in Die Orangen des Präsidenten (Nautilus 2011) ein erschütterndes Porträt seiner einstigen Heimat, dem Irak: Der Abiturient Mahdi wird unschuldig inhaftiert und gefoltert. Als sich nach zwei grausamen Jahren die Pforten des Gefängnisses öffnen, ist dies alles andere als die Entlassung in eine glückliche Freiheit.
Von einer zerstörten Heimat erzählt auch der Roman Marjams Geschichten (Suhrkamp 2009) von Alawiyya Sobh. Ihre Scheherazade Marjam berichtet schonungslos von Frauenschicksalen aus dem Libanon der 50er Jahre bis in die Gegenwart. Sie zeichnet ein Land, in dem gleichberechtigte Sexualität höchstens dort funktioniert, wo sie gesellschaftlich geächtet ist, in dem häusliche Gewalt und Bürgerkrieg das private wie öffentliche Leben vergiften und weibliche Hoffnungen auf ein selbstbestimmtes Leben zunichte gemacht werden. Das deutsch-arabische Gespräch mit den beiden Autoren führt der Arabist Stephan Milich (Göttingen), die deutschen Texte liest Katharina Heyer.
Eine Kooperation des Literarischen Zentrums Göttingen, des Lichtenberg Kollegs und des Seminars für Arabistik/Islamwissenschaft.