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Press release: Kinderstube von Tiefseehaien entdeckt

Nr. 207/2011 - 22.09.2011

Röhrenwürmer und Kalksteinlandschaften an Methanquellen dienen Tiefseeraubtieren als Brutstätte

(pug) Natürliche Methanquellen auf dem Meeresboden waren bisher als Lebensraum für wenige hoch spezialisierte Überlebenskünstler bekannt. Jetzt konnten Wissenschaftler der Universität Göttingen und des Kieler Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) gemeinsam mit Kollegen aus Österreich und den USA nachweisen, dass diese Methanquellen auch eine wichtige Rolle als „Kinderstube“ für Tiefseeraubfische und damit für die Biodiversität in der Tiefsee allgemein spielen. In der Umgebung von Methanquellen im Mittelmeer und im Ost-Pazifik entdeckten die Forscher tausende Eikapseln von Tiefseehaien und -rochen. Zudem fanden sie Versteinerungen solcher Eikapseln an einer 35 Millionen Jahre alten Methanquelle im Westen der USA. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Marine Ecology Progress Series veröffentlicht.

Röhrenwürmer, riesige Bakterienkolonien, große weiße Muscheln und skurrile Karbonatlandschaften – die Lebensgemeinschaften an natürlichen Methanquellen in der Tiefsee sind einzigartig. Die Erklärung der Wissenschaftler für ihre Funde: Hai- und Rochenarten, die Eier legen, befestigen ihre Eikapseln gerne an festen Strukturen, an denen sauerstoffreiches Wasser entlang strömt, wie zum Beispiel an Korallen oder an senkrechten Felshängen. Der Tiefseeboden besteht aber größtenteils aus feinem Schlamm, feste Strukturen sind hier selten. „Daher ist es nicht überraschend, dass die Tiere auch Röhrenwurm-Dickichte und Kalksteinauswüchse an Methanquellen als Schutz für den Nachwuchs nutzen“, so die Forscher. Untersuchungen mit einem Videoschlitten auf dem Meeresboden vor Chile zeigten in 700 Metern Tiefe mehrere Generationen riesiger Eikapseln von Tiefseerochen, die zwischen Röhrenwürmern und Kalksteinblöcken abgelegt waren. Die Wissenschaftler filmten sogar ein trächtiges Rochenweibchen. Im Mittelmeer stießen die Forscher auf Eikapseln, die sie eindeutig Katzenhaien zuordnen konnten.

Von Katzenhaien stammen auch Eikapseln, die Untersuchungen unter der Leitung des Paläontologen Dr. Steffen Kiel von der Universität Göttingen im US-Bundesstaat Washington zutage brachten. In diesem Fall waren die Kapseln aber 35 Millionen Jahre alt und versteinert. Sie befanden sich zwischen ebenfalls versteinerten Röhrenwürmern an einer fossilen Methanquelle, die durch geologische Prozesse aus dem Meer gehoben wurde und an den südlichen Ausläufern der Olympic Mountains zugänglich ist. „Damit lässt sich das Brutverhalten dieser Tiere weit in die Erdgeschichte zurückverfolgen“, erläutert Dr. Kiel, der seit vielen Jahren die Evolutionsgeschichte von Tiefsee-Ökosystemen erforscht.

Die Entdeckung der Wissenschaftler ist allerdings auch mit Blick auf die Zukunft mariner Ökosysteme wichtig. Raubtiere sind für die Artenvielfalt von großer Bedeutung, weil sie in der Regel häufige Arten fressen und so Raum für seltenere Spezies schaffen, und Haie und Rochen gehören zu den wichtigsten Raubtieren in der Tiefsee. „Die große geografische Distanz zwischen unseren Funden und ihre lange Fossilgeschichte lassen vermuten, dass Tiefseehaie und andere Raubfische auch Methanquellen in anderen Teilen der Ozeane als Kinderstube nutzen“, sagt Prof. Dr. Tina Treude vom IFM-GEOMAR. Durch Schleppnetzfischerei, bei der riesige Netze mit hoher Geschwindigkeit über den Meeresgrund gezogen werden, werden diese Ökosysteme beschädigt und in ihrer Funktion als mögliche Kinderstube für Raubfische gestört. „Mit unserer Arbeit unterstützen wir Bestrebungen, solche Methanquellen als internationale Reservate auszuweisen und unter Schutz zu stellen“, so Prof. Treude.

Originalveröffentlichung: Tina Treude et al. Elasmobranch egg capsules associated with modern and ancient cold seeps: a nursery for marine deep-water predators. Marine Ecology Progress Series Vol. 437, 175-181. Doi: 10.3354/meps09305.

Kontaktadresse:
Dr. Steffen Kiel
Georg-August-Universität Göttingen
Fakultät für Geowissenschaften und Geographie
Abteilung Geobiologie
Goldschmidtstraße 3, 37077 Göttingen
Telefon (0551) 39-10954
E-Mail: skiel@uni-goettingen.de
Internet: www.geobiologie.uni-goettingen.de/people/skiel/index.shtml