Entwicklung innovativer Mikroskopie-Methoden
Exzellenzcluster „Mikroskopie im Nanometerbereich“ verstärkt Forschung der Göttinger Neurowissenschaftler
Das Gehirn ist die vermutlich komplexeste Struktur, die die Natur jemals hervorgebracht hat: Alle Funktionen wie Wahrnehmen, Denken, Lernen, Erinnern oder Vergessen werden dabei auf molekularen Signalwegen in neuronalen Zellen gesteuert. Ein interdisziplinärer Verbund Göttinger Wissenschaftler arbeitet bereits seit mehreren Jahren daran, die zugrundeliegenden Prozesse zu entschlüsseln. Das Exzellenzcluster 171 „Mikroskopie im Nanometerbereich“, das 2006 im Zuge der Exzellenzinitiative an der Georg-August-Universität eingerichtet wurde, entwickelt dafür die passenden „Forschungsinstrumente“. Als Technologieplattform für innovative Mikroskopie-Methoden erweitert und verstärkt das Cluster die Arbeiten am DFG Forschungszentrum Molekularphysiologie des Gehirns (CMPB).
Die Wissenschaftler an dem im Jahr 2002 eingerichteten CMPB untersuchen in fünf Schwerpunkten die molekularen Prozesse und Interaktionen in neuronalen Zellen, um so die plastische Funktionsweise der komplexen Netzwerke hochspezialisierter Nervenzellen im menschlichen Gehirn zu entschlüsseln. Zentrale Themen bilden – neben der Grundlagenforschung – neurologische und psychiatrische Erkrankungen, die auf Hirnentwicklungsstörungen oder auf Neurodegeneration beruhen. Was genau in den Nervenzellen passiert, lässt sich mit Hilfe neuartiger Verfahren auf dem Gebiet der hochauflösenden Mikroskopie erfassen.
Ein besonders leistungsfähiges Lichtmikroskop erlaubt es Biologen, molekulare Strukturen im Nanometerbereich in lebenden Zellen zu beobachten. Das Exzellenzcluster hat diese so genannte STED-Mikroskopie in einer Nachwuchsgruppe unter der Leitung von Dr. Silvio Rizzoli etabliert und wird sie den Anforderungen intravitaler Experimente anpassen. Anhand neuer Aufnahmetechniken konnten mittlerweile schnelle Bewegungsvorgänge auf molekularer Ebene mit einer Auflösung von 65 bis 70 Nanometern registriert und aufgenommen werden.
Eine weitere Nachwuchsgruppe wurde im Bereich der Atomic Force Microscopy (AFM) initiiert, um dynamische biologische Prozesse auf Nanoebene zu verfolgen. Ziel der von Dr. Iwan Schaap geleiteten Arbeiten ist es, diese Mikroskopie-Methode in ihrer Effizienz der Datenaufnahme und Datenverarbeitung weiterzuentwickeln. Vor allem die lebensnotwendigen Transportprozesse in den Nervenzellen sollen mit Hilfe der AFM beobachtet werden. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht dabei die Frage, wie ein Molekülstau innerhalb der Zelle verhindert und auf welche Weise der Molekülverkehr koordiniert wird.
Aufbau und Struktur der Moleküle sind entscheidend für die Aufrechterhaltung der normalen, auf Interaktion basierenden Zell- und Gehirnfunktionen. Um solche Molekülstrukturen auf klären zu können, nutzt die von Dr. Lars T. Kuhn geleitete Nachwuchsgruppe die Nuclear Magnetic Resonance (NMR) - Spektroskopie. Ein wichtiger Forschungsaspekt betrifft dabei die Verbesserung der Sensitivität in der Signalgebung. Damit erhoffen sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse über die Entstehung von neurodegenerativen Krankheitsbildern, wie Alzheimer, Parkinson oder die Creutzfeld-Jakob-Erkrankung. Langfristig sollen darauf aufbauend auch neue Therapieansätze entwickelt werden.
In weiteren Forschungsbereichen innerhalb des Exzellenzclusters arbeiten mehrere Forschergruppen an der Entwicklung und Optimierung sogenannter multimodaler Techniken in der Fluoreszenz-Mikroskopie. Neben mikroskopischen Untersuchungsmethoden mit beschichteten Nanopartikeln gehören dazu verschiedene Varianten des Fluorescence Resonance Energy Transfer (FRET) und des Fluorescence Lifetime Imaging (FLIM). Diese werden zur Visualisierung definierter Molekülinteraktionen und des Molekültransports eingesetzt. Mit der Zwei-Photonen-Mikroskopie sind solche molekularen Prozesse auch in intakten Systemen darstellbar, wo durch molekularphysiologische Analysen unter intravitalen Bedingungen möglich sind.
Der Weiterentwicklung, Anpassung und Anwendung der Röntgenmikroskopie zur hochaufgelösten Strukturuntersuchung von neuronalen Zellen und Organellen widmet sich das Projekt „X- Ray Microscopy“. Dabei soll das Potential der Röntgenstrahlung durch den Einsatz einer neuartigen, linsenlosen Abbildungstechnik auf der Basis einer holographischen Rekonstruktion erweitert werden.
Wo wird das Göttinger Exzellenzcluster „Mikroskopie im Nanometerbereich“ in drei Jahren stehen? Um die innovativen Mikroskopie-Technologien zusammenzuführen, werden die etablierten Exzellenzbereiche kooperative Aufgaben definieren: Dabei geht es insbesondere um die Analyse der Struktur und Funktion normaler und pathologischer Proteine oder Proteinkomplexe. In diesem Zusammenhang soll auch untersucht werden, welche Auswirkungen diese auf die Interaktion mit Zellen und deren Umgebung haben. Ziel der vernetzten und interaktiven Forschungsanstrengungen ist die Entwicklung neuartiger „Sonden“ mit austauschbaren molekularen Markern, die für diagnostische Zwecke möglicherweise auch am Menschen angewandt werden können.