Vorwort

Liebe Leserin und lieber Leser,

Grund zur Freude haben wir im 12. Jahr des Erscheinens des Jahrbuchs. Der Entwurf einer Verfassung der EU liegt vor, und er enthält vieles, wofür wir uns einsetzen. Zunächst dachte niemand in Europa an eine Verfassung, denn die leitende Idee des werdenden Europa war die Optimierung der Wirtschaft und der Finanzen. Dagegen wandten wir uns mit diesem Jahrbuch und bemühten uns, den Reichtum der Tradition Europas als Chance für die Zukunft, einschließlich der der Wirtschaft, zu zeigen. In ihrer „Charta Oecumenica“ verpflichten sich die meisten Kirchen Europas und alle deutschen zur Verkündigung des Evangeliums durch Wort und Tat. Sie betonen den sozialen und politischen Einsatz der Kirchen. Europa soll ein gerechter Sozialstaat sein auf der Basis und im Horizont seiner Tradition.

Der vorliegende Band will das schon Erreichte mit Leben füllen, dieweil der Verfassungsentwurf nun hoffentlich Gesetz wird. Dabei wird das nicht Erreichte nicht vergessen. Der Blick geht über das Europa zwischen Atlantik und Ural hinaus. Europa muss weltoffen sein und ist es. Das gilt auch für dunkle Seiten der Welt. Nur so kann Europa nach außen und innen gerecht und sozial sein – und es immer wieder werden.

Dieses Geschehen ist dynamisch, prozesshaft. Es darf nicht erstarren, weil Gerechtigkeit und Solidarität sich dann in ihr Gegenteil verwandeln. Die gegenwärtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme Europas zeigen die Folgen einer Verkennung des dynamischen Charakters von Gerechtigkeit und Solidarität: statisches Beharren und, auf der anderen Seite, Hektik. Die eklatante Folge ist die hohe Arbeitslosigkeit gerade in Deutschland. Gewerkschaftliches Beharren auf dem Erreichten führt zu hohen Produktionskosten, unternehmerische Hektik lässt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Manövriermasse werden. Statik und Hektik werden im Lichte der Tradition augenfällig, weil sie Maßstäbe für die Entwicklung liefert. Börsenkurse dagegen sind vielfach auch psychologische Zufallsentscheidungen.

Die verschiedenen Artikel dieses Bandes tragen der Dynamik Rechnung, indem sie grundsätzlich und speziell sind. Selbstverständlich geben nicht alle Artikel die Meinung der Herausgeber und Konsultatoren wieder.

Ihr
Ulrich Nembach
für die Herausgeber, Konsultatoren und Mitarbeiter


Inhalt

VORWORT

1. Europa heute

1.1 Juristisch gesehen

GERHARD ROBBERS
Religion in Europa.
Die religionsrechtliche Bedeutung der neuen Verfassung für die Europäische Union

JÜRGEN SIMON - SUSANNE BRAUN
Rechtsdogmatische Prinzipien der biomedizinischen Forschung

1.2 Kirchlich-theologisch gesehen

IGNACE BERTEN - THOMAS EGGENSPERGER - ULRICH ENGEL
Für Menschenwürde, Solidarität und Partizipation.
Perspektiven für Europa

WALTER ANDREAS EULER
Fels und Ärgernis.
Papstamt und Petrusdienst aus katholischer Sicht

WIARD POPKES
Freikirchen in Europa

GERD STRICKER
Die Russisch-Orthodoxe Kirche und Westeuropa.
Zum Offenen Brief des Patriarchen Alexi II. vom 1. April 2003 – ein Kommentar


2. Europas Tradition

2.1 Theologie im Kontext

MICHAEL BASSE
Organisation und Zeitumstände der Wissenschaft in der Weimarer Republik

ESKO RYÖKÄS
Die Gründung einer ökumenischen theologischen Fakultät.
Entstehungsgeschichte – Lehrerfahrungen – Entwicklung eines Profils

BERND SCHRÖDER
Frankreich und Deutschland – grenzüberschreitende theologische Impulse

WOLFGANG VÖGELE
Öffentlichkeit in der Abgeschiedenheit.
Zum theologischen Auftrag evangelischer Akademien

2.2 Christliches Leben im Kontext

ANDREAS MÜHLING
Vom Leichnam zum Leben.
Todesdarstellungen im Spätmittelalter

LUDWIG NIEDER - WERNER SCHNEIDER
Grenzprobleme am Lebensende aus soziologischer Sicht.
Der Wandel des Religiösen und der Umgang mit Sterben und Tod in der Moderne

JÖRG SPLETT
Geheimnis Beziehung.
Mit-Sein als Grundbestimmung von Person

ENZO PACE
Religious Individualisation and National Identity in the Italian Society

GERD STRICKER - HEINZ GSTREIN
Slowenien – Facetten der Kirchengeschichte eines „vergessenen“ Landes

2.3 Europa global

TADEUSZ DOKTÓR
New Age and Fundamentalism

HORST JÜRGEN HELLE
Christentum als Ergebnis religiöser Evolution.
Eine religionssoziologische Analyse

HANNA KIPER
Probleme der Kinder und Jugendlichen von Einwanderern in die Bundesrepublik Deutschland

IGOR KIŠŠ
Johann Amos Comenius’ Vorstellungen über die Einheit Europas und der Welt

CAROLA SCHMID
Rechtstreue der Polizei in Lateinamerika.
Eine empirische Untersuchung in mehreren Ländern Lateinamerikas

HANS SEE
Wirtschaftsverbrechen im Zeitalter der Globalisierung

ANSCHRIFTEN der Autoren, Herausgeber und Konsultatoren