Vor der Therapie steht die Diagnose. Unterrichtsbeobachtung als Grundlage kritischer Analyse
Peter Häfner (Heidelberg)
Was ist wirklich in den Schulen los? Dieser Frage wird seit mehr als 15 Jahren mit "Minutenprotokollen" nachgegangen, die auf der Suche nach möglichst objektiven und statistisch auswertbaren Beobachtungsformen entwickelt wurden. Aktionsformen des Lernens, des Lehrens, Organisations-, Sozial- und Urteilsformen, Aktivität und Beteiligung sowie verwendete Medien werden mit eingeschränkten Begriffsrastern in Minutenabständen erfasst und statistisch ausgewertet.
Auf der Basis der bisherigen Stichprobe von mehr als 13.000 Beobachtungsminuten lassen sich nicht nur Aussagen über Häufigkeiten einzelner Parameter, sondern auch Zusammenhänge ableiten. Folgende Thesen sollen vorgestellt und begründet werden:
- Unterricht ist vordergründig auf Faktenvermittlung ausgerichtet, er erscheint deshalb auch monoton.
- Unterricht ist nach wie vor in der Hauptsache Lehrprozess, nicht Lernprozess
- Es gibt fachunabhängig gleich häufige "konstituierende" Unterrichtsmerkmale
- Schüleraktivität und -beteiligung korrelieren mit Organisations- und Sozialformen
- Lehrerinnen und Lehrer verhalten sich immer neutraler, was darauf hindeutet, dass "Erziehung" nicht mehr als Aufgabe wahrgenommen wird.
- Fachdidaktische Theorie oder Erkenntnis – soweit vorhanden – schlägt sich nicht im Lehrverhalten auch junger Lehrer nieder. Lehrer haben vielmehr – unabhängig vom unterrichteten Fach – ihren persönlichen "Stil".
Eine Studie an drei Lehrkräften eines süddeutschen Gymnasiums mit identischer Fachverbindung zeigte, dass zwar der Unterricht verschiedener Lehrkräfte im gleichen Fach signifikant unterschiedlich war, nicht jedoch der Unterricht eines Lehrers in verschiedenen Fächern. Hängt also das jeweilige Lehrverhalten viel mehr von Selbsterfahrungen als von Theorie oder Ausbildung ab?