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Press release: Verzicht auf Sex hat auch Vorteile

No. 14 - 19.01.2018

(pug) Sexuelle Fortpflanzung ist die dominante Form der Reproduktion im Tier- und Pflanzenreich. Trotzdem gibt es Arten, die sich teilweise oder ausschließlich asexuell vermehren. Überraschenderweise sind diese oft weiter verbreitet als ihre nächsten sexuellen Verwandten. Die Ursachen dieses „Geografische Parthenogenese“ Phänomens sind bislang umstritten. Ein internationales Forscherteam der Universitäten Wien und Göttingen hat dazu nun ein neues Computermodell entwickelt. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Ecology Letters erschienen.

 

Die Dominanz der sexuellen Fortpflanzung unter höher entwickelten Formen des Lebens ist ein eindrucksvoller Beleg für die evolutiven Vorteile dieser Reproduktionsform. Dennoch gibt es auch in der heutigen Flora und Fauna weit verbreitete und daher offensichtlich höchst erfolgreiche Arten, die auf Sex weitgehend verzichten. Der Begriff „Geografische Parthenogenese“ bezeichnet die Tatsache, dass asexuelle Arten ein größeres, oft sogar sehr viel größeres Verbreitungsgebiet besitzen als nächstverwandte sexuelle Sippen – vor allem in Regionen der Erde, die während der Eiszeiten vergletschert waren.

 

Eine Blütenpflanze mit klassischer Geografischer Parthenogenese ist der Pyrenäen-Hahnenfuß (Ranunculus kuepferi). Von dieser Art existieren eine sexuell reproduzierende Sippe und eine asexuelle, die sich mit Hilfe unbefruchteter Samen fortpflanzt. Die asexuelle Sippe hat sich aus der sexuellen entwickelt und dabei, wie häufig bei Blütenpflanzen, eine Verdoppelung des Chromosomensatzes erfahren. Beide Sippen waren gegen Ende der letzten Eiszeit nur im südwestlichsten Teil der französischen Alpen verbreitet. Während die sexuelle Sippe auch heute noch auf diese Region beschränkt ist, hat sich die asexuelle inzwischen über fast den gesamten Alpenbogen ausgebreitet. Die Biologinnen und Biologen entwickelten nun ein Computermodell, mit dem sich die Ausbreitung beider Sippen rekonstruieren lässt. „Damit können wir simulieren, wie die beiden Sippen nach der Eiszeit emigriert und dabei unterschiedlich weit gekommen sind“, erläutert der Leiter der Studie, Prof. Dr. Stefan Dullinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien. „Und wir können verschiedeneHypothesen für ihren unterschiedlichen Erfolg überprüfen.“

 

Die Projektgruppe um Prof. Dr. Elvira Hörandl vom Albrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Göttingen erhob für die Studie die Anzahl der Chromosomensätze und reproduktionsbiologischen Daten der Populationen aus dem gesamten Verbreitungsgebiet, die die Voraussetzung für die Simulation darstellen. Darüber hinaus erstellten sie eine molekulare Datierung, die die zeitliche Einordnung der Ausbreitung ermöglichte. Die Computersimulationen legen nahe, dass die asexuelle Sippe vor allem von ihrer größeren Kälteresistenz profitierte, die es ihr erleichterte, die besonders hohen südwestalpinen Gebirgsketten um den Mont Blanc zu durchwandern. „Die Kälteresistenz ist vermutlich eine Folge der Verdoppelung des Chromosomensatzes und hat also nur indirekt mit dem Verzicht auf sexuelle Reproduktion zu tun“, erläutert Hörandl.

 

Die asexuelle Fortpflanzung hat aber auch direkte Vorteile, zum Beispiel wenn beide Sippen gemeinsam vorkommen. Bestäubende Insekten tragen dann einen Teil des Pollens zu den „falschen“ Blüten, wodurch die asexuelle Sippe die weitere Ausbreitung der sexuellen blockieren kann, während das umgekehrt nicht der Fall ist. Diese und weitere Simulationen in der Studie legen nahe, dass sich Geografische Parthenogenese nicht auf eine einzige Ursache reduzieren lässt. Wie so oft dürfte es das Zusammenspiel mehrerer Faktoren sein, das dieses auffällige biogeografische Muster verursacht und zu einem komplexen Phänomen macht.

 

Originalveröffentlichung: Bernhard Kirchheimer et al. Reconstructing geographical parthenogenesis: effects of niche differentiation and reproductive mode on Holocene range expansion of an alpine plant. Ecology Letters 2018. Doi: 10.1111/ele.12908.

 

Kontakt:

Prof. Dr. Elvira Hörandl
Georg-August-Universität Göttingen – Fakultät für Biologie und Psychologie

Albrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissenschaften

Abteilung für Systematik, Evolution und Diversität der Pflanzen (mit Herbarium)

Untere Karspüle 2, 37073 Göttingen, Telefon (0551) 39-7843

E-Mail: elvira.hoerandl@biologie.uni-goettingen.de, Internet: www.uni-goettingen.de/de/153591.html