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„Ich wurde von Männern und von Frauen gefördert“

(ant) Frau Prof. Dr. Reinhardt, Sie wurden in diesem Jahr in den Weisen­rat des Cyber Security Cluster Bonn aufgenommen und zum „Rising Star in Networking und Communica­tions“ ernannt. Inwiefern hat sich Ihre Arbeit dadurch verändert?
Das ist natürlich eine willkommene Bestätigung der Relevanz meiner Arbeit. Ich möchte diese Rollen nutzen, um meiner Forschung mehr Sichtbarkeit zu geben. Der Weisenrat ermöglicht es mir etwa, Dinge auf der gesellschaftlichen Ebene zu bewegen. Wir bereiten derzeit einen Bericht mit Empfehlungen an die Politik vor. Ich hoffe, dass man dort die Message auch annimmt. Der Schutz der Privatsphäre ist ja immer ein Zusammenspiel zwischen technischen Lösungen, politischen Entscheidungen und juristischen Aspekten. Und als Rising Star? Mich haben schon die ersten Bewerbungen von Leuten erreicht, die dieser Ehrung wegen überhaupt erst auf mich aufmerksam geworden sind.

Wie kamen Sie überhaupt dazu, Elektrotechnik zu studieren?
Ich habe in Frankreich eine sogenannte Vorbereitungsklasse gemacht mit Mathe, Physik, Chemie und zwei Fremdsprachen. Dort trifft man Leute, die wirklich exzellent sind. Ich war eher an Physik und Mathematik als an der Chemie interessiert. Da erschien mir ein Studium der Elektrotechnik naheliegend. Und ich habe diese Wahl bis zum heutigen Tag nicht bereut.

Später sind Sie dann doch in die Informatik gewechselt. Warum?
Das war eigentlich Zufall. Ich bin für mein Doppeldiplom nach Darmstadt gegangen und habe dort meine Masterarbeit im Bereich der Kommunikationsnetze, also an der Schnittstelle zur Informatik, geschrieben. Anschließend habe ich drei Stellenangebote bekommen. Zwei im Fachbereich Elektrotechnik und eine bei einem Professor, der aus der Elektrotechnik in die Informatik gewechselt ist und das Fachwissen beider Disziplinen zusammenbringt. Diese Stelle habe ich dann auch angenommen. Für mich ist es wichtig, dass es da kein Schubladendenken gibt. Mein Forschungsfeld ist einfach sehr interdisziplinär.

Was genau forschen Sie?
Im Kern geht es immer um den Schutz der Privatsphäre in der digitalen Welt. Ein Schwerpunkt ist das „Ubiquitous computing“, das betrifft alles, was mit sehr kleinen Geräten wie Smartwatches und Smartphones zu tun hat. Ich möchte Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit geben, ihre Privatsphäre selbst zu schützen. Leider wird das Risiko selbst heute noch nicht von allen richtig ernst genommen. Mir geht es deshalb darum, technische Methoden zu entwickeln, die verständlich und einfach zu bedienen sind. Es werden immer mehr Daten über die Menschen gesammelt. Wir haben durch die Datenschutzgrundverordnung zwar Fortschritte gemacht, aber es gibt trotzdem häufig Pressemeldungen über Datenverluste im Netz. Das ist noch nicht optimal.

Ist die Forschung schon so anwendungsbezogen, dass Programme auf dem Markt sind?
Es gibt bereits heute erste Ansätze, um weniger Spuren in der digitalen Welt zu hinterlassen. Einen wirklich umfassenden Schutz der Privatsphäre bieten sie aber allesamt nicht. In meiner Gruppe betreiben wir deswegen Grundlagenforschung, um benötigte Methoden und Verfahren zu entwickeln, die hinterher auch Potenzial für den Praxiseinsatz haben. Mittelfristig wäre es zwar denkbar, diese dann auch in Produkte zu überführen, etwa durch die Förderung von Ausgründungen. Meine Forschung ist aber nicht von dem Gedanken getrieben, kommerzielle Produkte zu entwickeln.

Wie sind Ihre Erfahrungen als Frau in einem typischen männlich geprägten Fach?
Es gibt meine persönliche Sicht und die Sicht aus meiner Funktion he­raus. Wenn ich auf Konferenzen unter vielen Männern bin, habe ich einen Wiedererkennungswert. Das hat mir auch international geholfen, man hat schnell meinen Namen mit meiner Person assoziiert. Dann ist da aber auch noch die Kehrseite der Medaille. Ich bekomme immer noch hier und da Anspielungen zu hören, dass ich bestimmte Dinge ja nur erreicht haben könne, weil ich eine Frau bin. Das beschäftigt mich nur an schlechten Tagen.

Wurden Sie speziell als Frau gefördert?
Ein richtiges Förderprogramm hatte ich nicht. Ich wurde von verschiedenen Personen gefördert – Frauen und Männern. Das hat mich persönlich sehr viel weitergebracht. In meiner Jugend habe ich viel Judo gemacht und immer mit männlichen Partnern trainiert. Eine spezielle Frauencommunity brauche ich nicht um mich herum. Natürlich sind Professorinnen als Rollenmodelle wichtig. Aber ich erachte es nicht als positiv, wenn Frauen nur unter Frauen bleiben wollen, weil sich das Verhaltensmuster der Abgrenzung dadurch ja nicht ändert. Die Offenheit für­einander ist mir wichtig.

Was ist die besondere Herausforderung als Frau in einem männlich geprägten Fach?
Was ich aktuell als belastend empfinde, ist der Wunsch nach einer Frauenquote in verschiedenen Kommissionen und Gremien. Am Institut für Informatik haben wir nur wenige Professorinnen. In jedem Ausschuss, in dem aus politischen Gründen eine Frau gebraucht wird, muss eine von uns dabei sein. Es wird auch oft erwartet, dass man sich als Frau für Gleichstellungsfragen einsetzt. Diese Zeit können meine männlichen Kollegen für Networking, Forschen und Anträge nutzen. Es ist also ein Zwiespalt zwischen persönlichem und gemeinschaftlichem Interesse. Ich finde, dass Männer und Frauen sich gleichermaßen für Gleichstellung einsetzen sollten.



Dieser Artikel ist in uni|inform Oktober 2019 erschienen. Die gesamte Universitätszeitung ist online unter www.uni-goettingen.de/uniinform zu finden.