»... sind eben alles Menschen« - Verhalten zwischen Zwang, Freiheit und Verantwortung
'Gänse sind schließlich auch nur Menschen', gab eine Doktorandin Konrad Lorenz zur Antwort, als er sich wunderte, daß unter hunderten von Verhaltensprotokollen nur wenige waren, die das Typische der Paarbindung genau dokumentierten. Bei aller Erbgebundenheit ist offenbar das sogenannte Normale des Gänseverhaltens in vielen Spielarten ausgeprägt – wie beim Menschen eben auch. Ob diese Variabilität Ausdruck individueller Freiheit ist oder ob wechselnde Umwelteinflüsse modulierend wirken, ist schwer zu entscheiden. Wie auch immer: diese Anekdote wirft ein Licht auf die aus einer langen gemeinsamen Stammesgeschichte herrührende Ähnlichkeit tierischen und menschlichen Verhaltens. Überraschend ist dies nur auf den ersten Blick, denn die um des Überlebens willen zu bewältigenden Aufgaben sind bei Mensch und Tier so verschieden nicht, und gleiches gilt auch für deren Lösungen. Bestimmte Verhaltensstrategien sind notwendig, um sich in Raum und Zeit zu orientieren, Nahrung zu suchen, einen Konkurrenten zu vertreiben, Feinden auszuweichen und nicht zuletzt, um einen Partner zur Zeugung des Nachwuchses zu finden. Die Ringvorlesung soll diese Gemeinsamkeiten aufzeigen, und so stehen am Anfang bewußt Vorträge über 'Niedere' Tiere, in deren Verhalten manche Bezüge zu dem des Menschen aufscheinen werden. Deutlich wird dies auch bei den dem Sozialverhalten gewidmeten Beiträgen, die unter anderem fragen, ob jenes, menschliches Fehlverhalten zu entschuldigen suchende 'Er ist doch nur ein Mensch' aus der Stammesgeschichte begründbar ist.
Ob wir in unserem Verhalten zwanghaft gebunden sind oder ob unser Wille frei ist, diese alte Frage ist durch die Hirnforschung wieder aktuell geworden. Das mag verwunderlich sein, denn 'eigentlich' hätte doch schon vor 150 Jahren mit der Formulierung der Energieerhaltungssätze jeder auf die Physis wirkenden immateriellen Willenskraft der Garaus gemacht werden müssen. Unser Empfinden und unser Verantwortungsgefühl wollen dies freilich nicht akzeptieren. Zu recht? Die Vorträge, die am Schluß stehen, werden darauf eine Antwort suchen – und angesichts der Vielfältigkeit und oftmals auch der Widersprüchlichkeit des Verhaltens vielleicht zurückkehren zu dem Motto der Reihe, das sich, wenn auch in anderem Zusammenhang, schon in Goethes und Schillers Xenien findet: 'Was hast du denn dabei gelernt? / Sind eben alles Menschen gewesen.'