Einstieg: Gender und Diversität


Hier finden Sie einen kurzen Einstieg in die Grundlagen von Gender und Diversität im Kontext Hochschule.

Studieren, Lehren, Forschen und Arbeiten findet nicht in einem luftleeren Raum statt: Menschen bringen ihre Perspektiven, ihre Identifikationen, realen oder zugeschriebenen Zugehörigkeiten; Weltbilder und ihre bewussten und unbewussten Erfahrungen mit Diskriminierung und Privilegierung auch mit an die Universität. Soziale Verhältnisse der Macht, der Ungleichheit und der Differenz spielen damit auch im Universitätsalltag eine Rolle und strukturieren Arbeitsverhältnisse, Forschungsperspektiven und Lehr-/Lernbeziehungen.
Die Universität Göttingen hat in ihrer Diversitätsstrategie festgehalten, dass sie eine Wissenschafts- und Arbeitskultur fördern möchte, die allen Mitgliedern und Angehörigen der Universität gleiche Chancen ermöglicht und sie in der Entfaltung ihrer Talente und Potenziale fördert.
Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Religion oder Weltanschauung, Behinderung oder chronische Krankheit, ethnische und soziale Herkunft und unterschiedliche Erfahrungshintergründe und Lebenssituationen – auf diese Fragen soll geachtet werden, wenn es darum geht, Menschen in ihren unterschiedlichen Erfahrungen ernst zu nehmen und Diskriminierung und Schlechterstellung zu verhindern.
Gleichwohl sollen diese Kategorien keine Rolle spielen, wenn es darum geht, wie gut eine Person studieren, forschen und arbeiten kann – dies soll für alle (best)möglich sein.
Es geht der Universität Göttingen also um die Anerkennung von Diversität als Unterschiedlichkeit und als Gemeinsamkeit, um die Realisierung von Bildungschancen und darum, ein Umfeld zu schaffen, "in dem Stereotype und Vorurteile reflektiert und beseitigt werden: Alle Angehörigen der Universität Göttingen sollen Wertschätzung und Förderung erfahren. Ein solches Umfeld soll dazu beitragen, herausragende Leistungen zu ermöglichen" (ebd.).
Diversitätsorientierung gehört deshalb neben Digitalisierung und Internationalisierung zum Leitbild für das Lehren und Lernen an der Universität Göttingen.

Das Phänomen der "Leaky Pipeline", also die jeweils sinkende Anzahl von Frauen auf jeweils höheren akademischen Qualifikations- und Besoldungsstufen, ist gut erforscht und mittlerweile vergleichsweise bekannt (Gesis/CEWS). Begleitet wird die niedrigere personale Repräsentanz auch von einem sog. "Gender Pay Gap", dem geschlechtsspezifisch niedrigeren Einkommen von Frauen bei ähnlichen sonstigen Variablen (Statistisches Bundesamt 2021).
Vergleichbare Phänomene im Bildungs- und Hochschulbereich zeigen sich jedoch auch in Bezug auf andere soziale Ungleichheitsverhältnisse:
So beginnen etwa statistisch gesehen von 100 Kindern aus Akademiker*innenfamilien 79 ein Studium, jedoch nur 27 von 100 Kindern aus nicht-akademischen Familien (DZHW 2018). Wer aus Haushalten kommt, in denen beide Eltern einen akademischen Abschluss haben, erreicht dreimal häufiger einen Doktorgrad als Kinder aus nicht-akademischen Haushalten (Stifterverband & McKinsey). Klassismus und Klassenprivilegien im Hochschulkontext haben Auswirkungen auf die Bildungswege und -erfahrungen von Studierenden (Altieri/Hüttner 2020, Seeck/Theißl 2020). Gesundheitliche Beeinträchtigungen werden für Studierende dann zu einem Problem, wenn sie "im Wechselspiel mit bestehenden Barrieren zu Studienerschwernissen und damit zu Teilhabebeschränkungen" (DSW 2018:22, pdf) für die Studierenden werden. Um ein Studium trotz studienerschwerender Beeinträchtigung erfolgreich abschließen zu können, sind Studierende auf "bauliche Barrierefreiheit der Räume und Gebäude, auf bestimmte räumliche Bedingungen, barrierefreie Dokumente, auf personelle Unterstützung oder auf technische Hilfsmittel" angewiesen (ebd. 32). Schwarze Studierende und Studierende of Color erfahren individuellen und strukturellen Rassismus an der Hochschule, der Einfluss auf ihren persönlichen Bildungsweg hat (Kubia 2015). Immer noch sind Schwarze Professor*innen und Professor*innen of Color eine verschwindende Minderheit an deutschen Hochschulen (Auma/ Piorkowski 2020). Auch für trans* und inter* Studierende ist die Hochschule ein Ort, an dem Erfahrungen von Ausschlüssen und Diskriminierung das Studium erschweren oder verunmöglichen kann (AG trans*emanzipatorische Hochschulpolitik, 2018, pdf).

Diskriminierungserfahrungen können einen negativen Einfluss auf die soziale Integration und damit auch auf den Studienerfolg haben (vgl. Ebert/ Heublein 2017:111, pdf). 22 Prozent der Absolvent*innen und 18 Prozent der Studienabbrecher*innen "mit Migrationshin­tergrund" berichten von Diskriminierungserfahrungen an der Hochschule (ebd.:66 und ADS 2020:9, pdf). Studierende erleben schlechtere Leistungsbewertungen an der Hochschule in Verbindung mit ihrer "ethnischen Herkunft" (30,8 Prozent), ihrer „sozialen Herkunft“ (22,8 Prozent), ihrem Lebensalter (17,3 Prozent) (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2017: 305, pdf), insb. jedoch in Bezug zu ihrem Geschlecht (ebd. und ADS 2020:10, pdf). Sie berichten von Mobbing und Herabwürdigung in Zusammenhang mit der (zugeschriebenen) sexuellen Orientierung, dem Aussehen, der "ethnischen Herkunft", mit Geschlecht, Religion und Weltanschauung und dem Alter (ebd.).

Es geht bei Diskriminierung und Privilegierung jedoch nicht nur um individuelle Handlungen oder Einstellungen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Institution Universität als Ganzes, mit ihrer Rolle in der und für die Gesellschaft. Rassistische Diskriminierung als ein "immanenter Teil der Hochschulen" (Ha 2016) wird in Deutschland, ebenso wie Forderungen nach dekolonialen Perspektiven in Lehre und Studium, erst langsam zu einem Thema, das eine breitere Öffentlichkeit bekommt (ebd., vgl. auch Gutiérrez-Rodriguez/ Ha u.a., 2016, Kuria 2015).

Die Veränderung von Rahmenbedingungen, der Abbau von strukturellen Hürden, die Auseinandersetzung mit Stereotypen und Ausgrenzung – auch als Gegenstand von Forschung und Lehre, die Sensibilisierung von Mitgliedern und Angehörigen der Universität – gerade auch in Lehre und Verwaltung sowie Empowerment von denjenigen, die von Diskriminierung betroffen sind, werden in der Forschung zu Diskriminierungsschutz und Diversität an der Hochschule als wichtige Bestandteile genannt (ADS 2020, pdf, Czock u.a. 2012, pdf). Hinzuzufügen wäre die komplemantäre Perspektive: Die des Powersharings, des (Umver)teilens von Macht und Ressourcen (siehe Rosenstreich 2006, Nassir-Shahnian 2020).

Wirklich "gute Lehre" ist gender- und diversitätsreflektierend und nimmt Lernende in ihren Erfahrungen, Perspektiven und Zugängen ernst. Sie ist vielseitig und verzichtet auf "one size fits all"-Lösungen, bei denen diejenigen schnell aus dem Blick geraten, die nicht dem Bild vom "Normalstudenten" entsprechen.
Anregungen dazu finden Sie in diesem Portal insb. unter "Kommunikation in der Lehre", "Lehr- und Lernmethoden" und "Lehr- und Lerninhalte". Zugleich geht es bei einer gender- und diversitätsreflektierenden Lehre auch um die Erfüllung rechtlicher Vorgaben hinsichtlich Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Teilhabe. Dazu finden Sie unter "Rechtliche Grundlagen und Leitbilder" weitere Informationen. Im Portal finden Sie außerdem Materialien zu Gender und Diversität in den Rahmenbedingungen von Studium und Lehre sowie Anregungen zur Entwicklung und Reflexion des eigenen Lehrhandelns.
Schutz vor Diskriminierung, eine Orientierung an Ressourcen, die die Mitglieder und Angehörigen der Universität mitbringen sowie die Sicherung von Chancengleichheit gehören in einer gender- und diversitätsreflektierenden Lehre zusammen. Dabei besteht das Ziel und die Praxis sowohl darin, die Diversität anzuerkennen, die an der Universität schon vorhanden ist, als auch darin, weitere Zugänge und Räume zu öffnen, um die gesamtgesellschaftliche Diversität auch in der Universität immer besser abzubilden und Ungleichheit in Zugängen, Macht und Ressourcen abzubauen.

Um in der eigenen Lehre Asymmetrien und Machtverhältnisse nicht zu reproduzieren, sondern sie aufzudecken und ihnen entgegen zu arbeiten, brauchen Lehrende neben unterstützenden institutionellen Rahmenbedingungen sowohl theoretisches Wissen zu Diskriminierung, Privilegierung und Diversität, als auch die Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion und die Fertigkeit, dieses Wissen in konkreten Situationen praktisch umsetzen zu können. Es geht also bei gender- und diversitätsreflektierender Lehre nicht um einen fertigen Katalog von Dingen, die zu tun oder zu lassen sind, sondern auch um die Entwicklung einer Haltung. Eine Übersicht, die das anschaulich macht, finden Sie unter "Reflexiv lehren".

Mit Bezug auf Bildungsarbeit zu und im Kontext von mehreren verflochtenen Machtverhältnissen schreiben Urmila Goel und Alice Stein dazu:
"Eine solche [machtkritische] Haltung aufzubauen und immer weiterzuentwickeln, ist die Grundlage dafür, dass Menschen Situationen machtkritisch einschätzen, darauf aufbauend situationsgerecht handeln und auch (eigenes) problematisches Handeln erkennen und ändern können. ... Für das Entwickeln einer machtkritischen Haltung ist es wichtig, zu wissen, was genau ich kritisiere, was ich verändern und erreichen will. Ich muss ein Verständnis für das Machtverhältnis bzw. die Verflechtung von Machtverhältnissen entwickeln, muss dies für mich ausformulieren und auf konkrete Situationen anwenden können. ...
Zum Entwickeln einer machtkritischen Haltung reicht allerdings ein theoretisches Verständnis von verschiedenen Machtverhältnissen und deren Verflechtungen sowie die Fähigkeit, diese erkennen und zusammendenken zu können, nicht aus. Machtkritische Handlungsfähigkeit bedarf zusätzlich der Fähigkeit, sich selbst in den Machtverhältnissen und ihren Verflechtungen zu verorten. Die eigenen Verstrickungen, die eigenen machtvollen und marginalisierten Positionierungen müssen reflektiert werden, um die eigene Rolle in der (Re)Produktion von Machtverhältnissen und eigene Verletzlichkeiten erkennen zu können. Nur so kann eine positionierte Aufmerksamkeit für Ausschlüsse und (Re)Produktionen von Machtverhältnissen erreicht werden, können positionierte Interventions- und Widerstandsmöglichkeiten erlernt werden."
Goel/ Stein 2012.


Auf den Seiten des Portals finden Sie vielfältige Anregungen zur Reflexion, zur Auseinandersetzung mit der eigenen Lehre, sowie "Bausteine" zur Umsetzung.

Verwendete Literatur und weitere Ressourcen
Zuletzt aktualisiert am 13.02.2024